Wochenrückblick: Internet- und Medienrecht KW41

Böhmermann-Verfahren ist endgültig beendet. Reiss Engelhorn Museum verklagt erneut Wikipedia-Nutzer. Verlage müssen Gelder an die VG-Wort zurück erstatten. Einwilligungen zu Werbemails können durch Zeitablauf erlöschen. EU legt Entwurf zum kulturellen Erbe vor.

Frisch aus den Archiven: Der Wochenrückblick zu Internet- und Medienrecht für die Kalenderwoche 41 2016.

Böhmermann-Verfahren endgültig eingestellt

Bereits in der letzten Woche hatte die Staatsanwaltschaft Mainz das Verfahren wegen Beleidigung gegen den Satiriker Jan Böhmermann eingestellt. Der türkische Staatschef Erdogan hatte dagegen Beschwerde eingelegt. In dieser Woche prüfte daraufhin die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz die Entscheidungsgründe. Ergebnis: Die Einschätzung der Mainzer Staatsanwaltschaft ist nicht zu beanstanden. Damit ist das Verfahren endgültig ad Acta gelegt.

Wie ich schon in der letzten Woche gehofft hatte, wird dies wohl auch Auswirkung auf das laufende Verfahren gegen den Berliner Piratenpartei-Vorsitzenden Bruno Kramm haben. So äußerte sich mindestens Kramms vertretender Anwalt Markus Kompa in seinem Blog. Der Politiker hatte im Rahmen einer Demonstration Teile des Böhmermann Gedichtes rezitiert und analysiert und war daraufhin verhaftet worden.

Neben dem strafrechtlichen Verfahren hatte Erdogan auch ein zivilrechtliches Verfahren eröffnet und gegen Böhmermann auf Unterlassung geklagt. Dieses Verfahren vor dem Hamburger Landgericht dauert noch an.

Reiss Engelhorn Museum verklagt Wikipedia-Nutzer

Das Reiss Engelhorn Museum Mannheim hat in seinem Kampf gegen das Internet und die Kulturfreiheit erneut einen Sieg vor Gericht errungen. Bereits seit einem Jahr geht das Reiss Engelhorn Museum brutal gegen Wikipedia sowie kleine Websites, Blogs und Internet-Auftritte vor. Stein des Anstoßes sind mehrere Bilder aus den Sammlungen des Reiss Engelhorn Museums. Diese sind zwar unstrittig gemeinfrei und dürfen deswegen nach §64 UrhG von jedermann veröffentlicht werden. Das Museum verbietet es aber trotzdem Fotografien der Bilder zu verbreiten. In einem desaströsen Urteil hatte das LGBerlin das Reiss Engelhorn Museum in seiner Rechtsposition bestätigt. (Meine damalige Einschätzung zur Urteilsbegründung hier). Vor dem Landgericht Stuttgart errang das Museum jetzt einen Sieg gegen den Fotografen, der die Bilder der Kunstwerke bei Wikipedia hoch geladen hatte. Bemerkenswerterweise verbot ihm das Gericht nicht nur die Gemäldefoto-Reproduktionen, die das Reiss Engelhorn Museum hatte anfertigen lassen, zu veröffentlichen. Nein auch die Fotografien, die er selbst in den Räumlichkeiten des Museums angefertigt hatte, dürfen zukünftig nicht mehr verbreitet werden. Nicht nur nicht zu kommerziellen Zwecken, sondern überhaupt nicht. Damit geht das Stuttgarter Landgericht sogar über das desaströse Sanssouci-Urteil des BGH hinaus und etabliert de facto ein Recht an der eigenen Sache, die eigentlich im deutschen Gesetzt nicht vorgesehen ist. (Kommentar bei heise)

Landgericht Stuttgart: Wikipedia-Fotograf muss Museumsfotos löschen

 

VG Wort: Verlage müssen Gelder zurück zahlen

Vor einem halben Jahr entschied der BGH, dass die jetzige Praxis der Verwertungsgesellschaft VG Wort der Rechtslage widerspricht. Vereinfacht gesagt wurde im Urteil fest gestell, dass die VG Wort den Verlagen zu viel und den Autoren zu wenig Beiträge ausgezahlt hatte. Detailliert hatte ich das Urteil damals in einem Youtube-Video aufbereitet:

Der Verwaltungsrat der VG Wort hat in München nun entschieden, dass Verlage die zu unrecht ausgeschütteten Beiträge bis zum 30. November an die VG Wort zurück erstatten müssen. Sie sollen dann an die Autoren verteilt werden. Es wird befürchtet, dass gerade kleine Verlage durch die Rückzahlungen in ihrer Existenz bedroht sein könnten. Autorenverbände reagierten hingegen erfreut über die Ausschüttung der Gelder. (die ihnen meiner Einschätzung nach, gemäß der aktuell geltenden Rechtslage eindeutig zusteht)

Starfotograf verklagt Sternekoch

Wenn Kreative und Kultur-schaffende gemeinsam ein Projekt angehen, sollten sie dringend zuvor die rechtlichen Details klären. Das mussten Sternekoch Mario Gamba und Fotograf Ferdinando Cioffi nun auf die harte Tour lernen. Vor dem Landgericht München stritten die beiden sich um 15 470 Euro. Der Koch habe den Fotografen angeblich beauftragt für einen Bildband verschiedene Fotos anzufertigen und ihm dafür 10.000 Euro geboten. Der Koch bestreitet das. Entscheidende Frage beim Prozess war, ob ein Vertrag zustande gekommen war. Das Verfahren wurde mit einem Vergleich beendet: Gamba zahlt Cioffi 2.500 Euro.

BGH: Notarielle Unterlassungserklärungen sind eine dumme Idee

Wer auf Grund eines Wettbewerbsverstoßes eine Abmahnung erhält, der muss dem Abmahnenden irgendwie zusichern, dass er den fraglichen Rechtsverstoß nicht nochmals begehen wird. Der übliche Weg dazu ist eine Strafbewehrte Unterlassungserklärung. Verkürzt gesagt liegt der Abmahnung meistens ein Text bei, in dem ungefähr folgendes steht:

Ich begehe diesen Rechtsverstoß ganz bestimmt nie wieder. Sonst bezahle ich dem Abmahnenden eine Menge Geld.

Unterschrift

Alternativ wurde in Fachkreisen seit Jahren diskutiert, ob es nicht vielleicht sinnvoller ist, stattdessen eine notarielle Unterwerfungserklärung abzugeben. Dabei unterzeichnet der Abgemahnte eine Urkunde, die ein Notar angefertigt hat, und unterwirft sich im Falle der Zuwiderhandlung der Zwangsvollstreckung.

Diese Praxis dürfte nun aussterben, dank eines BGH-Urteils aus dem April, welches nun veröffentlicht wurde. Nach dem Urteil stellt eine notariellen Unterlassungserklärung alleine das Rechtsschutzbedürfnis des Abmahners nicht ausreichend sicher.

Mehr Details dazu bei Thomas Stadler:

BGH zu notariellen Unterlassungserklärungen

Kein Software-Weiterverkauf ohne Original-CD

Der europäische Gerichtshof hat seit Jahren in mehren Urteilen fest gestellt, dass Verbraucher grundsätzlich das Recht haben gebrauchte Software weiter zu verkaufen. In einem aktuellen Urteil machte der EuGH aber nun eine wichtige Einschränkung: Damit gebrauchte Software verkauft werden kann, muss der originale Datenträger noch vorhanden sein. Der Verkauf einer bloßen Sicherheitskopie ist damit nicht gestattet, auch dann nicht wenn die Software selbst nicht mehr genutzt wird.

Werbemails: Einwilligung erlischt durch Zeitablauf

In einem Prozess vor dem Amtsgericht Bonn kam es am 10. Oktober zu einem interessanten Urteil: Ein Anbieter hatte im Jahre 2011 die Einwilligung mehrerer potentieller Kunden zur  Übersendung von Werbe-Mails eingeholt. Im Jahr 2015 begann er dann diese Werbemails auch zu verschicken. Rechtswidrig, wie das Gericht nun entschied: Selbst wenn der Beklagte die Einwilligungen hätte nachweisen können (was er nicht konnte) wären die Werbemails unrechtmäßig, weil die Einwilligung nach so langer Zeit erloschen sei.

Werbemails – Werbe-Einwilligung kann durch Zeitablauf erlöschen

EU-Entwurf zum kulturellen Erbe

Über die aktuelle EU-Urheberrechtsreform, ihre katastrophalen Neuregelungen und vor allem über ihre Versäumnisse habe ich mich hier im Blog ja schon häufiger geäußert. Nun legte die EU-Kommission ihren Entwurf zum kulturellen Erbe vor. Und überraschenderweise halte ich die Vorschläge darin für grundsätzlich sehr sinnvoll.

Archive, Bibliotheken und andere Bewahrungsstätten von kulturellen Gütern sollen künftig mindestens dann digitale Kopien von urheberrechtlich geschützten Werken anfertigen dürfen, wenn diese nur zum Erhalt der Werke dienen. Die Rechtslage in diesem Bereich war urheberrechtlich bisher nicht eindeutig geklärt.

Noch sinnvoller ist der Vorschlag zukünftig vergriffene Werke zu digitalisieren und öffentlich zugänglich zu machen. Die Vergütung für die Nutzung der entsprechenden Werke sollen Bibliotheken mit Verwertungsgesellschaften regeln. Auf diese Weise könnten Archive nun Millionen von Werken, der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Den bei sehr vielen Werken, die eigentlich veröffentlicht werden könnten, ist das einzige Problem, dass der Urheber nicht bekannt ist, oder nicht mit verantwortbarem Aufwand ermittelt werden könnte.

EU-Entwürfe zum Kulturerbe: Lob für die Richtung, Kritik an Beschränkungen

 

Google Analytics und Datenschutzerklärungen: Neues Urteil

In einem aktuellen Urteil des Hamburger Landgerichts war erneut der Datenschutz bei Google Analytics Thema. Wer auf seinem Web-Auftritt das Analyse-Tools von Google Analytics einsetzt, muss deutsches und europäisches Datenschutzrecht einhalten. Das heißt: die IP-Adressen müssen anonymisiert werden und der User muss in der Datenschutzerklärung darüber belehrt werden, welche seiner Daten zu welchem Zweck gespeichert und an Dritte übertragen werden. Bei Zuwiderhandlung droht eine Abmahnung durch die Konkurrenz. Denn solche Verstöße gegen das Datenschutzrecht sind gleichzeitig Wettbewerbsverstöße, die jeder abmahnen darf, der in einem Konkurrenzverhältnis zu dem Rechtsverletzer steht.

Bei Google Analytics sind zusätzlich die AGBs von Google zu beachten. Diese fordern zB., dass ein User schon bei Aufruf der Website auf die Verwendung seiner Daten hingewiesen wird. (Entgegen weit verbreiteter Meinungen ist dies nach deutschem Datenschutzrecht an sich nicht nötig)

Mehr Info zu Datenschutz und Google Analytics bei e-recht24

 

 

Urteil gegen Wikipedia – Die Entscheidungsgründe des LG Berlin

Die Entscheidungsgründe für das Urteil des Berliner Landgericht gegen Wikipedia liegen nun vor. Im Rechtsstreit  mit dem Reiss-Engelhorn-Museum war der Online-Enzyklopädie verboten worden einige Bilder zu verwenden. Meine Analyse der Entscheidungsgründe.

Für das desaströse Urteil des LG Berlin hat die Wikicommons-Foundation mittlerweile die Urteilsbegründung veröffentlicht. Warum das Urteil aus meiner Sicht ein vollkommen falsches Signal sendet und womöglich schwere Folgen für die Kultur im Internet haben wird, habe ich bereits hier erläutert. Doch widmen wir uns den Entscheidungsgründen doch einmal im Einzelnen.

Gemäldereproduktionen sind keine Werke

Wie nach der Pressemeldung der Wikimedia Foundation schon abzusehen war, ist das Internet immerhin von der absurden Maximalforderung des Reiss-Engelhorn-Museums und der Kanzlei Müller Müller Rössner verschont geblieben. Bloße Fotografische Reproduktionen von Gemälden sind keine urheberrechtlich geschützten Werke. Das erkannte auch das LG Berlin an:

Bei den 17 streitgegenständlichen Reproduktionsfotos handelt es sich nicht um Lichtbildwerke im Sinne des §2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG.

Was Abmahn-Anwalt Carl Christian Müller in der Überschrift zu seinem Blog-Beitrag schreibt, ist somit schlicht falsch! Die Gemäldereproduktionen sind nach dem Urteil des Landgerichts eben nicht urheberrechtlich geschützt sondern lediglich als Lichtbilder.

Lichtbildschutz?

Die eigentlich kontroverse Frage in dem Urteil war, ob das Landgericht die Gemäldereproduktionen als Lichtbilder nach §72 UrhG ansehen würde. Der Lichtbildschutz ist ein so genanntes Leistungsschutzrecht. Von ihm sind Fotografien auch dann geschützt, wenn die schöpferisch-kreative Leistung nicht ausreicht, um einen klassischen Urheberrechtsschutz zu begründen. Lichtbildschutz schützt die Arbeitsleistung und nicht die künstlerische Qualität eines Fotos.

Jedoch hat der BGH bereits 1989 in seinem Bibelreproduktionsurteil klar gemacht, dass Foto-Reproduktionen gemeinfreier Vorlagen mindestens nicht in jedem Fall Lichtbildschutz genießen:

aa) […] Der technische Reproduktionsvorgang allein begründet aber noch keinen Lichtbildschutz. Die Erweiterung des Lichtbildschutzes durch § 72 UrhG […]

Vielmehr müsse eine bestimmte geistige Leistung in der Fotografie-Arbeit erkennbar sein, damit das Bild in den Schutzbereich von §72 UrhG fällt.

[…]. Sind es aber in erster Linie Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Erweiterung des Lichtbildschutzes geführt haben, so kann jedenfalls auf ein Mindestmaß an – zwar nicht schöpferischer, aber doch – persönlicher geistiger Leistung nicht verzichtet werden.

Das Landgericht Berlin war auch tatsächlich bereit diesen Rechtsgrundsatz anzuerkennen, der durch den BGH 1989 im Bibelreproduktionsurteil und dann nochmals 2000 im Telefonkartenurteil formuliert wurde. Leider sah das Gericht einen erheblichen qualitativen Unterschied zwischen Grafiken oder Drucken und Gemälden:

Danach reichte dort [Anm. im Telefonkartenurteil] die technische Reproduktion einer bestehenden Grafik (eine solche war jedenfalls das Original der Vorlage, die letztlich für die Telefonkarte der Klägerin verwendet worden ist) nicht aus, das Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung zu für den Lichtbildschutz erfüllen. Eine Schlussfolgerung, dies auch auf die Reproduktion von Gemälden zu übertragen, ist in dieser Allgemeinheit jedoch nicht zulässig:
In dem BGH-Fall ging es um eine einfache, schwarz-weiße-Graphik, die wiederum nur als Grundmotiv einer relativ kleinen Telefonkarte zu übertragen war. Hier geht es dagegen um farbige, detailreiche Gemälde mit differenzierten Schattierungen, die für den Druck in einer Museumspublikation so detailgetreu wie möglich zu fotografieren waren. Gerade die damit verbundene aufwendige handwerklich-technische Leistung ist durch den Lichtbilderschutz zu schützen.

Zwei- oder Dreidimensional? egal

Das alleine wäre eine traurige aber noch verständliche Entscheidung. Bemerkenswert ist, dass das Gericht nicht wie (meinem Eindruck nach) die juristische Mehrheitsmeinung von einem Unterschied zwischen zweidimensionalen und dreidimensionalen Reproduktionen ausgeht:

Es kommt an dieser Stelle daher nicht auf den Streit an, ob die Gemälde als Vorlage der streitgegenständlichen Fotografien zweidimensonal sind und ob zweidimensionale Vorlagen anders als dreidimensionale zu behandeln sind. Die Frage, ob ein Gemälde zwei- oder dreidimensional ist, kann grundsätzlich nur im Einzelfall unter Betrachtung des Originals beantwortet werden […]

Wie Praxis-fremd eine solche Abwägung im Einzelfall ist, erkennt das Gericht wenig später lustigerweise selbst an:

[…] bei einem Abstellen auf Zweidimensionalität käme es aus den bereits genannten Gründen ferner auf die Dicke des Farbauftrags an, so dass die Schutzfähigkeit erst nach Abgleich mit dem Original sicher festzustellen wäre, was kaum praktikabel ist, […]

Ich würde das Gericht an dieser Stelle bitten, einmal eine repräsentative Umfrage durchzuführen und 8.000 Menschen zu fragen, ob ein Ölgemälde ein zweidimensionales Werk ist. Dann würden sich die Missverständnisse klären. Die Abgrenzung zwischen zwei- und dreidimensionalen Werken war ein noch realtiv Laien-verständliches Kriterium. Jeder kann unterscheiden, ob auf einem Foto eine Statue oder eine Buchseite abgebildet ist. Wie viel Arbeit in eine Reproduktion gesteckt wurde, sieht man dem Foto jedoch nicht an. Das Gericht erklärt alleine mit diesem Entscheidungsgrund Millionen von Fotos im Internet für nicht mehr nutzbar. Einfach, weil für einen nutzungswilligen User nicht mehr erkennbar ist, ob ein Foto unter Lichtbildschutz steht.

Teleologische Auslegung

Das für mich juristische Hauptargument der Wikimedia-Foundation hat das Gericht ebenfalls nicht anerkannt: Durch die Praxis des Reiss-Engelhorn-Museums wird §64 UrhG praktisch umgangen und gegen den Willen des Gesetzgebers gehandelt. §64 UrhG sieht vor, dass das Urheberrecht an Werken nur eine bestimmte Zeit, nämlich 70 Jahre gelten soll. Dies hat der Gesetzgeber verfügt, damit Werke der Kultur nicht über einen gewissen Zeitraum hinaus monopolisierbar sind. Die Rechte, die aus dem Urheberrecht erwachsen, sollen ab diesem Punkt jedem zur Verfügung stehen: Ein Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten, auszustellen und öffentlich zugänglich zu machen.

Das Reiss-Engelhorn-Museum verhindert nun aber über ein Fotografie-Verbot in seinen Räumlichkeiten, dass diese Rechte konkret ausgeübt werden können. Und indem es eigene (quasi-)Vervielfältigungen des Bilds mit Lichtbildschutz erstellt und vermarktet, hat das Reiss-Engelhorn-Museum genau die Rechte wieder monopolisiert, die eigentlich der Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollten. Das Gericht sah das leider anders:

Für die Frage einer teleologischen Reduktion kommt es nach Ansicht der Kammer nicht darauf an, wie die Klägerin ihr Fotoverbot praktiziert, denn selbst bei strenger Durchsetzung wäre dies kein Kriterium für eine beschränkende Auslegung einer Norm. Mit der teleologischen Reduktion werden Sachverhalte, die nach dem Wortlaut der Norm an sich erfasst würden, von der Anwendung der Norm ausgeschlossen, weil sie der Zielsetzung des Gesetzes widersprechen. Nach der Ansicht der Beklagten wäre der abstrakte Sachverhalt dann konsequenterweise so zu fassen, dass des keinen Lichtbildschutz für Fotos gibt, die eine 1:1-Reproduktion eines zweidimensionalen und gemeinfreien Werkes sind, falls diese Werke im Bestand eines Museums sind, dessen Hausordnung den Besuchern das Fotografieren verbietet. […]

Diese Auslegung der Position der Wikimedia verkennt den Kern der Argumentation in so hohem Maße, dass ich mich frage, ob das Gericht das Argument überhaupt verstanden hat. Die abstrakte Norm, die der Wikimedia hier vorschwebt wäre viel mehr etwa so zu fassen:

Es gibt keinen Lichtbildschutz für Fotos, die eine 1:1 Reproduktion eines gemeinfreien Werkes sind, falls diese Werke im Bestand eines Museums sind, die erkennbar durch gezielte Maßnahmen verhindert, dass die Rechte, die der Allgemeinheit aus §64 UrhG an diesem gemeinfreien Werk erwachsen, auch tatsächlich ausgeübt werden können.

Scans als geschützte Lichtbilder?

Die gefährlichste Passage in dem Urteil findet sich jedoch gegen Ende:

Es muss schließlich aus heutiger Sicht nicht überzeugen, eine technische Reproduktion mittels Scanner, die einen vergleichbaren technischen Aufwand erfordern und zu besseren Widergabeergebnissen führen kann, nicht ensprechend einem Lichtbild zu schützen. […]

[…] Der Umstand, dass es offenbar über alle Reformbemühungen hinweg der Wille des Gesetzgebers geblieben ist, das Leistungsergebnis der einfachen Fotografie als Lichtbild zu schützen, lässt eher den Gedanken zu, §72 UrhG entsprechend auf Abbildungen anzuwenden, die auf vergleichbare Weise (wie mit dem von den Beklagten angeführten aufwendigen Scan) entstanden sind, was aber nicht hier zu entscheiden ist. […]

Nach dem Vorschlag des Landgerichts sollen zukünftig also Scans als Lichtbilder geschützt sein. Diese Radikalposition erweitert den Lichtbildschutz so weit, dass nun überhaupt keine Werk-Reproduktionen mehr eindeutig gemeinfrei sind. Damit ist die tatsächliche Nutzbarkeit gemeinfreier Werke in der Praxis aufgehoben. Niemand kann unterscheiden, wann ein Scan aufwendig war und wann nicht. Insofern kann niemand mehr irgendwelche Reproduktionen von gemeinfreien Werken nutzen, ohne vorher den Ersteller zu kontaktieren und die Rechte mit ihm abzuklären.

Für die Internetkultur, in der solche Kommunikation nicht vorgesehen, ja im Normalfall auch gar nicht möglich ist, ist das eine Katastrophe. Aber genau das war wohl die Intention des Gerichts.

Update 30.06.2016

Das Reiss-Engelhorn-Museum hat in seiner Pressemeldung einmal mehr seine totale rechtliche Ahnungslosigkeit bewiesen. Schon im Teaser zur Pressemeldung heißt es:

Stellt ein Autor der Wikipedia solche Fotografien unerlaubt in die Mediendatenbank Wikimedia Commons, die mit der Wikipedia verknüpft ist, haftet die Wikimedia Foundation Inc. für diese Urheberrechtsverletzung als Störer.

Das ist faktisch falsch. Gemäß §10 TMG haften Portal-Betreiber für rechtswidrige Inhalte erst ab Kenntnisnahme. Das ist ein unbestrittener Rechtssatz, der aus dem Gesetz hervor geht und schon von zahllosen Gerichten bestätigt worden ist. So auch in dem Urteil des LG Berlin, das in dieser Pressemeldung eigentlich zusammengefasst werden soll ( ! ) :

Die Beklagte zu 1. haftet jedenfalls als Störerin. Sie hat die Fotos unstreitig nicht selbst eingestellt. Sie ist aber Betreiberin beider Webseiten und hat nach Kenntnis von den Verstößen nichts veranlasst, die Rechtsverletzung zu beenden, sondern diese bewusst beibehalten.

Wikimedia haftet nach dem Urteil des LG Berlin also nur als Störerin, weil sie gegen die streitgegenständlichen Bilder nach Kenntnisnahme nicht von der Plattform entfernt hat.

 

 

Reiss Engelhorn Museum verklagt Wikipedia

Das Reiss-Engelhorn-Museum hat sich vor dem Landgericht Berlin gegen die Wikipedia durchgesetzt. Streitpunkt waren mehrere gemeinfreie Werke aus dem Museum, die die Wikipedia digital zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem Urteil hebt das Landgericht §64 des Urheberrechtsgesetzes für Bilder de facto auf.

Das Reiss-Engelhorn Museum versetzt der deutschen Kultur einen schweren Schlag. Wie Wikicommons Deutschland in einer Erklärung mitteilte, hat sich das Reiss-Engelhorn Museum im umstrittenen Wagner-Prozess gegen Wikicommons durchgesetzt. Das Berliner Landgericht entschied, dass Wikipedia verschiedene gemeinfreie Bilder aus dem Reiss-Engelhorn Museum nicht veröffentlichen dürfe. Das Urteil wird gravierende Folgen für deutsche Kunst-, Geschichts- und Kulturblogger sowie für Künstler und Journalisten haben.

Reiss Engelhorn Museum und der Krieg gegen freie Kultur

Die traurige Geschichte begann im März 2015. Damals begann das Reiss-Engelhorn Museum Massenabmahnungen gegen Blogs und kleine Webseiten zu verschicken. Grund war ein Bild von Richard Wagner, dass auf den Webauftritten verwendet worden war. Das Bild hatten die Webmaster von Wikipedias-Bilddatenbank Wikicommons herunter geladen, wo es als „gemeinfrei“ also „frei von Urheberrechten“ deklariert war. (und bis heute ist) Obwohl keiner der Webmaster von irgendwelchen rechtlichen Problemen gewusst haben kann, forderte die Kanzlei Müller Müller Rössner im Auftrag des Mannheimer Museums utopische Summen ein und trieben damit zum Beispiel das Kinder-Musik-Portal musical-co in die Pleite.

Auch gegen die Wikipedia selbst, sowie gegen den User, der das Wagner-Bild hochgeladen hatte, erhob das Reiss-Engelhorn Museum Klage.

Rechtspositionen und Rechtslage

Der Kern des Rechtsstreits: Das Wagner Gemälde wurde vom deutschen Maler Cäsar Willich angefertigt. Der starb im Jahre 1886. Der Urheberrechtsschutz an dem Gemälde ist also bereits im Jahre 1956 abgelaufen. Denn nach §64 UrhG erlischt das Urheberrecht an jedem Werk 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Wenn jedoch keine Rechte am Gemälde bestehen. Was für Rechte macht das Reiss-Engelhorn-Museum dann geltend?

Die konkreten Bilder, die nun in der Wikipedia vorliegen, hatte ein Museums-Fotograf von den Gemälden abfotografiert. An diesen Fotografien beansprucht das Reiss-Engelhorn Museum nun Rechte. Es seien Lichtbilder nach §72 UrhG. Die Kategorie des Lichtbilds hatte der Gesetzgeber im Jahre 1965 als eine Art abgespecktes Urheberrecht eingeführt. Der Lichtbildschutz umfasst die gleichen Privilegien wie der normale Urheberrechtsschutz. Jedoch erlischt er schon 50 Jahre nach der ersten Publikation des Lichtbilds.

Hat das Foto des Wanger-Gemäldes Lichtbildschutz?

Der BGH hatte in seinem grundlegenden Bibelreproduktionsurteil 1989 folgende Entscheidung getroffen:

aa) […] Der technische Reproduktionsvorgang allein begründet aber noch keinen Lichtbildschutz. Die Erweiterung des Lichtbildschutzes durch § 72 UrhG gegenüber dem – notwendig schöpferischen – Urheberrechtsschutz für Lichtbildwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG beruht vornehmlich auf der Erwägung, daß eine Abgrenzung zwischen Lichtbildern mit Werkcharakter und solchen ohne eigenschöpferischen Einschlag unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnet […]. Sind es aber in erster Linie Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Erweiterung des Lichtbildschutzes geführt haben, so kann jedenfalls auf ein Mindestmaß an – zwar nicht schöpferischer, aber doch – persönlicher geistiger Leistung nicht verzichtet werden.

Worin eine persönliche geistige Leistung bestehen soll, wenn ein existierendes Gemälde lediglich abfotografiert wird, ist mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Zumal der Fall, den der BGH hier entschied dem aktuellen sehr ähnlich war. (Es ging um Fotoreproduktionen von Kupferstichen). Zudem argumentierte die Wikipedia zutreffend, dass das Reiss-Engelhorn Museum hier eine Aufhebung der Schutzfristen in §64 UrhG durch die Hintertüre versucht:

Durch sein eigenes Hausrecht verbietet das Reiss-Engelhorn Museum es nämlich innerhalb seiner Räumlichkeiten zu fotografieren. Dadurch kann das Museum §64 UrhG in der Praxis bedeutungslos machen. Indem es den Zugang zu den Originalen verhindert, und stets nur Kopien öffentlich macht, die unter Lichtbildschutz stehen, ist das Werk de facto zeitlich unbegrenzt geschützt.

Diesen Zustand hat das LGBerlin durch sein Urteil nun zementiert. Die einzig gute Nachricht: Wikimedia hat bereits angekündigt in die nächste Instanz zu gehen.

Reiss-Engelhorn Museum: Kein Verständnis für die Gegenwart

Die verschiedenen Stellungnahmen des Reiss-Engelhorn Museums und seiner Rechtsvertretungen während der ganzen Debatte haben übrigens wegen ihrer schieren Ahnungslosigkeit schon fast tragik-komischen Charakter. In der ersten Pressemeldung zu den Massenabmahnungen behauptete das REM zum Beispiel:

Die Urheberrechte  für die Abbildung liegen bei den Reiss-Engelhorn-Museen.

Das ist unbezweifelbar faktisch falsch. Selbst wenn das Landgericht Berlin der absurden Maximalforderung des Museums statt gegeben hätte, und erklärt hätte die Gemäldefotografien seien Lichtbildwerke: Das Urheberrecht läge dennoch nicht beim Reiss-Engelhorn Museum sondern beim Fotografen. Urheberrecht kann nur eine natürliche Person haben.

In der gleichen Pressemeldung beweist das Museum seine blanke Ahnungslosigkeit über die aktuelle Medienlandschaft und deren finanzielle Möglichkeiten:

Für eine zeitlich unbegrenzte Nutzung einer Fotografie im Internet fallen 250,00 EUR an.

Kein Kunst- oder Kulturblogger, kein Kulturjournalist, kein Künstler, kein Autor, kein Internetportal, keine Tageszeitung und auch kein kleinerer Kulturverlag könnte sich eine solche Summe für eine einzelne Bildnutzung mehr leisten. Derartig abgöttische Forderungen konnte ein Museum vielleicht in den 80ern und 90ern für Verwendungen in Sammelbänden verlangen. Aber doch nicht mehr im Jahre 2016, in dem Kultur maßgeblich im Internet erlebt wird.

[Edit: Die Pressemeldung des RME wurde gestern (05. Juli 2016) von der Website des Museums entfernt. Aus ihr gingen sowohl die faktisch falsche Beschreibung der Rechtslage als auch die völlig verfehlte Preispolitik des RME hervor. Offenbar möchte das Reiss-Engelhorn-Museum diese Informationen nun nicht mehr in der Öffentlichkeit wissen]

Die Anwaltskanzlei Müller Müller Rössner begründete indes, weshalb ein simples Gemälde-Foto ein Kunstwerk darstellen soll: Der Fotograf müsse immerhin die Entscheidung treffen, ob das Bild mit oder ohne Rahmen abgelichtet wird. Wie absurd das auf jeden wirken muss, der nicht in der rechtswissenschaftlichen Bubble steckt, scheint den Anwälten dabei nicht bewusst zu sein.

Der Museumsdirektor Alfried Wieczorek wanderte während dem ganzen Verfahren durch die Zeitungen und Radiosendungen und erläuterte seine Sicht der Dinge: Wer Bilder aus seinem Museum nutzen wolle, solle gefälligst vorher anfragen. Es könne ja nicht sein, dass die Wikipedia und ihre User darüber entscheiden, ob Kunstwerke veröffentlicht werden.

Hier wird nicht nur ein völlig verfehltes Amtsverständnis sondern auch ein fehlender Blick für die Rechtslage und die Kultur an sich offenbart: Die Kunstwerke, die im Reiss-Engelhorn Museum ausgestellt sind, gehören nicht dem Museum und auch nicht Alfried Wieczorek. Sie gehören der Allgemeinheit und das Museum soll sei lediglich aufbewahren und der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Und gemeinfreie Kunstwerke gehören ebenfalls der Öffentlichkeit. Jeder darf sie veröffentlichen. Und niemand, weder die Wikipedia noch Alfried Wieczorek darf eine Veröffentlichung verhindern.

Wissen und Kultur in Zeiten des digitalen Raums fließen wie Wasser. Und niemand kann sie aufhalten.

Ein folgenschweres Urteil

Wie gesagt wird Wikicommons Deutschland in die nächste Instanz gehen. Im Moment scheint die Mehrheitsmeinung unter Juristen jedoch von einem Lichtbildschutz für Reproduktionsfotografien auszugehen. Auch wenn das Amtsgericht Nürnberg im gleichen Sachverhalt einem Wikipedia-Nutzer Recht gab.

Sollte das Urteil des LGBerlin jedoch Bestand haben, wird das schwere Folgen für Blogger, Kulturjournalisten und Künstler haben. Ihnen wird durch die Entscheidung faktisch ihre Arbeit unmöglich gemacht. Denn die Kosten für Gemäldefotografien und alleine der Verwaltungsauwand die Rechte einzuholen, sind für sie nicht tragbar.

All das wird natürlich nicht dazu führen, dass im Internet weniger Gemäldefotografien kursieren. Die User werden das eben nur nicht mehr auf dem Boden des Gesetzes tun können. Es wird genau das passieren, was in den letzten 20 Jahren immer passiert ist, wenn urheberrechtliche Regelungen der gängigen Alltagspraxis diametral entgegen stehen: Die Rechtslage wird einfach ignoriert werden.