EuGH schränkt Linkfreiheit ein

In einem neuen Urteil hat der EuGH die Linkfreiheit erheblich eingeschränkt. Unter bestimmten Umständen haften Webseiten-Betreiber nun für verlinkte Inhalte. Die Entscheidung ist Praxis-fern, argumentiert in einem Punkt jedoch überraschend progressiv.

In einem Urteil vom Donnerstag (08.09.2016) traf der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Grundsatzenscheidung: Kommerzielle Webseiten-Betreiber können selbst gegen das Urheberrecht verstoßen, wenn sie urheberrechtswidrige Inhalte auf anderen Websites nur verlinken. Das Gericht erkannte zwar grundsätzlich an, dass Links als Kulturpraxis grundlegend wichtig für die Meinungsbildung und Meinungsäußerung im Internet sind:

Insoweit ist festzustellen, dass das Internet für die durch Art. 11 der Charta gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit tatsächlich von besonderer Bedeutung ist und dass Hyperlinks zu seinem guten Funktionieren und zum Meinungs? und Informationsaustausch in diesem Netz beitragen, das sich durch die Verfügbarkeit immenser Informationsmengen auszeichnet.

Jedoch sei es einem gewerblichen Diensteanbieter zuzumuten Urheberrechtsverstöße an einem verlinkten Inhalt festzustellen:

Im Übrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde.

Die Argumentationslogik in der Urteilsbegründung ist leider nur schwer nachvollziehbar.

Link = Öffentliche Zugänglichmachung?

Juristisch stellte sich in dem Prozess die Frage, ob eine Verlinkung eine Öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist.

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29

(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

Im konkreten Fall hatte eine Journalistische Website einen Link auf einen Ordner bei Filefactory gesetzt. User konnten dort Bilder herunter laden, die ohne Erlaubnis des Urhebers oder Rechteinhabers dort hoch geladen wurden. Die Argumentation in der Urteilsbegründung ist jedoch grundsätzlich auch auf andere Fälle anwendbar: Ob ein Bild, Video, Audiowerk oder eine Textdatei in einem Upload-Service zum Download angeboten wird, oder ob es „normal“ auf einer redaktionellen Seite eingebunden wird, spielt urheberrechtlich keine Rolle. Beides ist eine „Öffentliche Zugänglichmachung“.

Verlinken = Uploaden?

Für einen nicht-Juristen ist das nur ausgesprochen schwer nachvollziehbar. Immerhin wird durch einen Link rein technisch nichts veröffentlicht. Ein Link verweist lediglich auf einen Inhalt, der bereits öffentlich zugänglich ist. Wenn ein User ein Bild im Internet hoch lädt und ein anderer lediglich darauf verlinkt, sollen beide die gleiche urheberrechtliche Handlung durchführen? (Öffentliche Zugänglichmachung).

Nach etabliertem Konsens in der Rechtswissenschaft liegt eine Öffentliche Zugänglichmachung jedoch auch dann vor, wenn ein Inhalt für ein neues Zielpublikum zugänglich wird. Nach juristischer Logik (nicht nach gesundem Menschenverstand) ist es also nicht vollkommen abwegig, dass ein Link als Öffentliche Zugänglichmachung betrachtet werden kann.

Auch unter Juristen gibt es jedoch (mit Recht) auch Gegenstimmen. Thomas Stadler fände es zum Beispiel sinnvoller einen Linksetzer auf urherrechtswidrige Inhalte als Mittäter oder Teilnehmer der fremden Urheberrechtsverletzung zu betrachten.

Können nur gewerbliche Webseiten etwas öffentlich wiedergeben?

Mit seiner Entscheidung hat der EuGH erstmalig einen Rechtsargumentation etabliert, die bei aller berechtigten Kritik am Gesamturteil sehr sinnvoll ist: Er hat zwischen gewerblichen und nicht gewerblichen Internet-Nutzern unterschieden. Für die Frage: „Liegt eine Öffentliche Zugänglichmachung vor?“ war es bisher völlig irrelevant, wer ein Werk zu welchem Zweck veröffentlicht hat. Für einen 14 Jährigen, der Bilder in seinem Facebook-Feed postete, galten unstrittig die gleichen urheberrechtlichen Bestimmungen wie für die Redaktion der Süddeutschen oder der FAZ.

Die letzte Reform des Urheberrechts fand 2007 statt. Damals bestand das Netz noch weitgehend aus Webangeboten von großen Verlagen, Medienunternehmen und semi-professionellen Publizisten. Ein Nutzer hatte kaum Möglichkeiten selbst Inhalte zu veröffentlichen. Nach dem Aufstieg der Sozialen Medien ist es hingegen der Normalfall, dass wir alle ständig Bilder, Texte und Videos veröffentlichen. Es wurde daher Zeit, dass die urheberrechtlichen Begriffe an diese Entwicklung angepasst werden. Wer etwas bei Facebook postet geht heute nicht zwingend davon aus, dass diese Inhalte öffentlich sind. Solche Posts können zwar theoretisch eine riesige Reichweite erreichen, tun es aber tatsächlich nur in den wenigsten Fällen.

Auch Leonhard Dornbusch sieht in seinem Artikel zum Urteil auf Netzpolitik erhebliches Potential für die Unterscheidung zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Usern. Verbreitete Kulturtechniken wie Mashups, Remixes, Memes, Fanart, Fanfiction, Resynchronisierte Filmszenen, Youtube-Compilations und Memes könnten über diese Unterscheidung entkriminalisiert werden.

Unterscheidet man jedoch zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Dienstanbietern, ergibt sich gleich das nächste Problem:

Wer ist kommerziell?

Gerade für kleine Blogger, Youtuber, Podcaster, Social Media Influencer oder Selfpublisher ist die Frage „mache ich das hier kommerziell“ oft alles andere als einfach. Hauptberuflich betreiben die allerwenigsten diese Plattformen. Doch nicht selten verdienen kleine Kreative oder Web-Schaffende durch ihr Hobby entweder kleine Beträge hinzu oder machen Werbung für ihre eigentliche berufliche Arbeit. Ab wann beginnt die kommerzielle Tätigkeit?

Die Abgrenzung hat sich hier bereits im Falle der CC-BY-NC Lizenzen als schwierig erwiesen. Werke unter dieser Lizenz dürfen nach den Lizenzbestimmungen nur von „nicht kommerziellen“ Nutzern genutzt werden. Das war schon Thema für viele Blogartikel und auch schon Gegenstand von Gerichtsverfahren. Das Problem ist: Gerade Privat-Nutzer haben oftmals nicht die finanziellen Möglichkeiten, um Rechtsstreitigkeiten zu führen und Grundsatzurteile zu erreichen. Große Rechte-Verwerter wie Verlage, Plattenfirmen etc. haben deshalb bisher die Interpretationshoheit darüber was „nicht kommerziell“ bedeutet, weil niemand andere Rechtsansichten durchsetzt.

Sollte die Unterscheidung zwischen kommerziell und nicht kommerziell sich in der Rechtsprechung etablieren, eventuell auch über die Frage der Linkhaftung hinaus, würden sich bald die gleichen Probleme wie bei der CC-BY-NC Lizenz stellen.

Wann sind Urheberrechtsverstöße erkennbar?

Der EuGH hat also korrekterweise angenommen, dass zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Web-Angeboten unterschieden werden muss. Er hat (meiner Meinung nach ebenfalls zutreffend) fest gestellt, dass an kommerzielle Anbieter grundsätzlich höhere Anforderungen gestellt werden können. Und er hat auch korrekt heraus gearbeitet, dass es für einen privaten Internet-Nutzer schwierig bis unmöglich ist, Linksetzungen auf Urheberrechtsverletzungen zu vermeiden:

Darüber hinaus kann es sich insbesondere für Einzelpersonen, die solche Links setzen wollen, als schwierig erweisen, zu überprüfen, ob die Website, zu der diese Links führen sollen, Zugang zu geschützten Werken geben, und gegebenenfalls, ob die Inhaber der Urheberrechte an diesen Werken deren Veröffentlichung im Internet erlaubt haben. Dies ist erst recht dann schwer zu ermitteln, wenn für diese Rechte Unterlizenzen erteilt worden sind. Ferner kann der Inhalt einer Website, zu der ein Hyperlink Zugang gibt, nach der Platzierung des Links unter Aufnahme geschützter Werke geändert werden, ohne dass sich derjenige, der den Link geschaffen hat, dessen notwendig bewusst sein muss.

Leider war der EuGH der Ansicht, dass dies für kommerzielle Anbieter nicht der Fall sei. Diesen könne zugemutet werden, eine Urheberrechtsverletzung zu erkennen:

Im Übrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde. Unter solchen Umständen stellt daher, sofern diese widerlegliche Vermutung nicht entkräftet wird, die Handlung, die im Setzen eines Hyperlinks zu einem unbefugt im Internet veröffentlichten Werk besteht, eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar.

Diese Einschätzung ist weltfremd.

Kommerzielle Web-Anbieter können nicht zaubern

Wie soll ein Online-Journalist, Content-Marketer, kommerzieller Blogger oder Betreiber einer Unternehmens-Website erkennen können, ob ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers auf einer Website hoch geladen wurde? Durch welche Nachprüfungen soll er sich dessen vergewissern können? Niemand ist verpflichtet ein Werk als urheberrechtlich geschützt zu kennzeichnen. Und auch der Name des Urhebers muss nicht am Werk angegeben werden. Wie soll ein kommerzieller Webmaster vor einer Verlinkung herausfinden, ob Text, Bild, Video oder Audiodatei mit Einwilligung des jeweiligen Urhebers veröffentlicht wurde?

Muss er herausfinden, ob das betreffende Werk an anderer Stelle im Internet zu finden ist? Das wäre machbar, hilft aber nicht weiter: Taucht das Werk nicht an anderer Stelle auf, ist damit nicht ausgeschlossen, dass es gegen den Willen des Urhebers veröffentlicht wurde. Und selbst wenn es an anderer Stelle mit anderer Urheberbezeichnung auftaucht, ist immer noch nicht klar, wer von beiden das Werk von wem übernommen hat.

Muss der Redakteur den Webmaster der verlinkten Seite kontaktieren und befragen? [Wer so etwas vorschlägt kennt offenbar den Arbeitsalltag und den Zeitdruck in einer Online-Redaktion nicht] Selbst wenn wir den unwahrscheinlichen Fall annehmen, dass er den Webmaster rechtzeitig erreichen kann und der ihm Auskunft erteilt: Wird ein Urheberrechtsverletzer zugeben, dass er Werke urheberrechtswidrig öffentlich vorhält?

Wie irgendein kommerzieller Webdienst-Betreiber die Anforderungen erfüllen soll, die der EuGH hier stellt ist mir völlig schleierhaft. Mit dem Urteil hat der EuGH kommerziell betriebenen Web-Diensten de facto verboten Links zu setzen.

Glücklicherweise werden die Internet-Nutzer mit diesem Urteil genauso wie mit jeder anderen weltfremden Rechtsbestimmung umgehen: Sie werden sie einfach ignorieren. 

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Thomas Morus

Thomas Morus (1478-1535) war Autor, Staatsmann und Jurist. Und lehrte als Professor für Jura an der Law-School Lincoln's Inn. Als Autor und Poet schrieb er Prosa und philosophische Abhandlungen. Sein berühmtestes Werk ist die Utopia. In ihr entwirft er eine perfekte Gesellschaft, in der alle Menschen in Frieden leben und sich nach ihren Möglichkeiten entwickeln können. Hinter dem digitalen Thomas Morus steckt Thomas Reeh. Journalist, Online-Redakteur und Blogger.

 

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