Wochenrückblick Internet- und Medienrecht KW 49

LG Hamburg schränkt Linkfreiheit massivein. Auch private Blogs können als journalistisch-redaktionelle Medien gelten.  OS-Plattform-Link muss klickbar sein. Facebook löscht Impressums-Link. Heftige Kritik an Digitalcharta. Gesundheits-Apps verstoßen gegen Datenschutz. Neue Filesharing-Fälle.

Urheberrecht

LG Hamburg verschärft Linkhaftung massiv

Es war die Nachricht der Woche: Das LG Hamburg hat in einem Verfahren einen Website-Betreiber verurteilt: Er hatte einen Link auf eine andere Seite gesetzt, auf der ein Bild urheberrechtswidrig hoch geladen war. Nach einem Urteil des EuGH vom 8. September diesen Jahres war davon auszugehen, dass selbst bloße Verlinkungen auf Urheberrechtsverletzungen selbst Urheberrechtsverstöße sein können. Nun liegt jedoch zum ersten Mal das Urteil eines deutschen Gerichts zu der Frage vor.

Der Prozess war scheinbar ein Musterverfahren, den die Kanzlei Spirit Law LLB mit der gezielten Absicht geführt hatte, Rechtsklarheit in dieser Frage zu schaffen. (Blogbeitrag der Kanzlei)

Der EuGH hatte fest gestellt, dass lediglich kommerzielle Anbieter zur Überprüfung aller Inhalte verpflichtet sind, die sie verlinken. Was genau unter einem kommerziellen Anbieter zu verstehen ist, hatte der EuGH offen gelassen. Das LG Hamburg führte dazu nun aus:

Zwar definiert der EuGH nicht, welche Handlungen genau von einer Gewinnerzielungsabsicht getragen sein müssen, so dass sich die Frage stellen kann, ob gerade die Linksetzung als solche, der Betrieb der konkreten Unterseite mit dem Link oder der Betrieb des Internetauftritts insgesamt der Erzielung eines Gewinns dienen soll. Die Kammer versteht die EuGH-Rechtsprechung jedoch nicht in einem engeren Sinne dahin, dass die einzelne Linksetzung unmittelbar darauf abzielen müsste, (höhere) Gewinne zu erzielen (etwa durch Klick-Honorierungen). Denn der EuGH benutzt das Kriterium der Gewinnerzielungsabsicht lediglich zur Abgrenzung, ob dem Linksetzer Nachforschungen über die Rechtesituation bzgl. der verlinkten Seite zumutbar sind. Diese Zumutbarkeit hängt aber nicht allein davon ab, ob mit der Linksetzung unmittelbar Gewinne erzielt werden sollen, sondern nur davon, ob die Linksetzung im Rahmen eines Internetauftritts erfolgt, der insgesamt zumindest auch einer Gewinnerzielungsabsicht dient.

Ein kommerzieller Anbieter betreibt also einen Internetauftritt, der zumindest auch einer Gewinnerzielungsabsicht dient. Wie ich in meinem Beitrag zum Urteil des EuGH bereits befürchtet hatte, sind damit sämtliche kleinen semiprofessionellen Blogger eingeschlossen, die minimale Geldbeträge mit ihrem Blog hinzuverdienen oder damit Werbung für ihre hauptberufliche Tätigkeit machen.

Wie ich ebenfalls bereits in meinem damaligen Artikel dargelegt habe, ist dieses Urteil weltfremd. Es gibt tatsächlich keinerlei Möglichkeit für einen Linksetzer zu recherchieren, ob die Inhalte auf einer anderen Seite urheberrechtswidrig veröffentlicht wurden. Insbesondere gilt dies für Online-Redaktionen, in denen tagesaktuell berichtet werden muss. In einem tragik-komischen E-Mail-Wechsel mit dem LG-Hamburg hat heise das bereits demonstriert.

Wie zahlreiche Kommentatoren festgestellt haben, bedeutet das Urteil des LG-Hamburg eine massivste Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit. Ein schwarzer Tag für das Internet. Hier nur eine kurze Auswahl an kritischen Blogartikeln:

Beitragshinweis: Adieu freies Internet – FAQ zur verschärften Haftung für Links, Sharing, Vorschaubilder und Embedding

LG Hamburg verbietet Links auf urheberrechtsverletzende Inhalte

Das ist absurd! Landgericht Hamburg verschärft Verlinkung

[Dirks‘ Netzwelt] Haftung für Links

https://netzpolitik.org/2016/befuerchtungen-bestaetigt-erste-entscheidung-in-deutschland-nach-eugh-urteil-verschaerft-linkhaftung/

 

Filesharing: Ehepaar haftet nicht für Porno-Verbreitung

In den letzten Wochen und Monaten kristallisiert sich immer deutlicher eine klare Rechtsprechungslinie zu Filesharing-Fällen heraus. Wenn nicht klar ist, welches Familienmitglied den Urheberrechtsverstoß begangen hat, so werden die Klagen in der Regel abgewiesen. Denn eine Belehrungspflicht gibt es nicht, und die Störerhaftung kommt nur in Betracht, wenn eine Aufsichtspflicht verletzt wurde. Um diese sehr erfolgreiche Verteidigung zu umgehen, ließ der Abmahn-Anwalt Sarwari sich nun etwas neues einfallen: Als er fest stellte, dass von einem Internet-Anschluss aus ein Porno-Film per Filesharing öffentlich zugänglich gemacht wurde, mahnte er kurzerhand gleich beide Ehepartner ab. Man dürfe vermuten, dass sie den Film gemeinsam konsumiert hätten. Insofern hafteten beide gemeinsam für den Urheberrechtsverstoß. Netter Nebeneffekt für den Anwalt: Er brauchte so nicht nachzuweisen, wer von beiden den Verstoß begangen hatte.

Unfug! So entschied das Amtsgericht Düsseldorf. Die allgemeinen Lebenserfahrung besage, dass mehrere erwachsene Personen einen Internetanschluss auch unabhängig voneinander nutzten. Insofern dürfe nicht vermutet werden, dass beide den Film gemeinschaftlich konsumiert hätten. Ein sehr lebensnahes Urteil. Gut dass die Richter in diesem Fall auf allgemeine Lebenserfahrung zurück greifen konnten.

GEMA-Rechner

Die C3S (Cultural Commons Collecting Society) hat als neues Online-Tool einen GEMA Rechner veröffentlicht. Mit dem Dienst können Barbesitzer, Clubbetreiber oder sonstige Nutzer von GEMA-Musik ihre Tarife berechnen. Das Tool steht unter offener Lizenz und kann beliebig weiter verwendet werden.

Die C3S baut gegenwärtig eine eigene Verwertungsgesellschaft auf. Sollte es ihm gelingen eine kritische Anzahl an Künstlern zu vertreten, könnte das das Ende der so genannten GEMA-Vermutung sein.

Presserecht

Private Blogs könne journalistisch-redaktionell sein

Die Schlammschlacht unter den Mitgliedern der ehemaligen Piratenfraktion im Berliner Landtag hat nun immerhin zu mehr Rechtsklarheit in einem Bereich gesorgt. Der ehemalige Abgeordnete Christopher Lauer sah sich in einem Blog-Beitrag seines ehemaligen Partei-Kollegen Simon Lange nicht korrekt dargestellt und setzte gerichtlich seinen Anspruch auf Richtigstellung gemäß §56 RStV durch. Lange hat die Gegendarstellung mittlerweile veröffentlicht. Die juristisch interessante Frage: §56 RStV sieht einen Anspruch auf Richtigstellung nur gegen journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote vor.

§ 56 Gegendarstellung
(1) Anbieter von Telemedien mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten, in denen insbesondere
vollständig oder teilweise Inhalte periodischer Druckerzeugnisse in Text oder Bild wiedergegeben wer-
den, sind verpflichtet, unverzüglich eine Gegendarstellung der Person oder Stelle, die durch eine in ihrem
Angebot aufgestellte Tatsachenbehauptung betroffen ist, ohne Kosten für den Betroffenen in ihr Angebot
ohne zusätzliches Abrufentgelt aufzunehmen.

Der Blog von Simon Lange war jedoch ein privat gehaltener Blog, auf dem nur sehr unregelmäßig Beiträge erschienen. Dass der Blog das darstellt, was der Gesetzgeber mit journalistisch-redaktionell gestaltetem Angebot meint, darf bestritten werden. Wenn die Einschätzung des KG Berlin jedoch zutreffend ist, hätte dies Auswirkungen für alle privaten Blogger. Denn neben dem Gegendarstellungsanspruch unterliegen journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote auch der verschärften Impresumspflicht nach § 55 Abs. 2 RStV.

BGH zum Umfang zulässiger Kritik an journalistischer Arbeit

BGH Urteil zur Kritik an Journalismus

Bekanntlich ist die Meinungsfreiheit in §5 des Grundgesetzes geschützt. Nichtsdestotrotz gibt es natürlich gewisse rechtliche Einschränkungen darüber, was in der Öffentlichkeit geäußert werden darf und was nicht. Nach allgemeinem Konsens unter Rechtswissenschaftlern ist dabei die Äußerung falscher Tatsachen rechtswidrig, während bloße Werturteile geäußert werden dürfen. Wo nun genau die Tatsachenbehauptung aufhört und das Werturteil beginnt, war jedoch schon häufig Gegenstand von Gerichtsprozessen.

In einem Urteil von Ende September hat der BGH nun mehrere Grundsätze seiner Rechtsprechung zu dem Thema wiederholt präzisiert und geklärt. Nach der Urteilsbegründung seien Schlussfolgerungen aus unstrittigen Tatsachen selbst nicht als Tatsachenbehauptungen sondern als Werturteile zu bewerten. Als Rhetorische Fragen seien solche Fragen zu bezeichnen, die nur eine Antwort zulassen. Somit seien Rhetorische Fragen nicht im eigentlichen Sinne Fragen sondern vielmehr Aussagen, die entweder Tatsachenbehauptungen oder Werturteile sein können. Schließlich stellte das Gericht erneut klar, dass Journalisten ein höheres Maß an öffentlicher Kritik hinnehmen müssen, als gewöhnliche Bürger. Es sei für die Funktion von Journalisten unabdingbar, dass etwaige Missstände Gegenstand von Berichterstattung und öffentlicher Diskussion sein können.

Zum Volltext des Urteils

Kein Auskunftsanspruch über Gehalt im Abgeordnetenbüro

Die regelmäßigen Zeitungsleser unter meinen Lesern werden sich noch an den Verwandten-Skandal in der CSU 2013 erinnern. Damals war bekannt geworden, dass zahlreiche CSU-Politiker ihre Verwandten und Ehepartner als Sekretär/innen oder Mitarbeiter/innen beschäftigt hatten. Die Politiker-Familien hatten so ein zusätzliches Einkommen aus Staatskosten und die Politiker den „Vorteil“ ihre Ehepartner immer um sich zu haben.

Ein Teil des langen juristischen Nachspiels ist nun zu Ende gegangen: 2000-2013 hatte ein Journalist wiederholt Anfragen beim Bayrischen Landtag gestellt. Er wollte wissen, wie hoch die Vergütung einer Ehefrau war, die als Sekretärin im Abgeordnetenbüro ihres Mannes gearbeitet hatte. Als die Anfragen nicht beantwortet wurden, klagte der Journalist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) wies die Klage nun ab.

Das Recht auf Informationelle Selbstbestattung der Ehefrau überwiege in diesem Fall das Informationsinteresse der Presse. Zudem sehe das Bayrische Abgeordnetengesetz keine Pflicht zur Veröffentlichung der Kosten vor. Das Gericht konnte bei eingängiger Prüfung auch nicht fest stellen, dass der Abgeordnete durch die Beschäftigung seiner Frau Gesetze verletzt habe. Somit bestehe auch kein öffentliches Interesse.

Datenschutz

Gesundheits-Apps und Wearables verletzten Datenschutz

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat gemeinsam mit einigen Datenschutzbeauftragten der Länder eine stichprobenartige Prüfung von 16 Gesundheits-Apps und wearables durchgeführt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Offenbar verstoßen zahlreiche Anbieter gegen den Datenschutz.

Nutzer werden nur unzureichende über die Erhebung und Verwendung ihrer Daten informiert. Daten werden ohne die gesetzlich vorgeschriebene Einwilligung der Nutzer an Dritte weiter gegeben. Die zwingend vorgeschriebenen Möglichkeiten zu Widerspruch oder Löschanfragen fehlten häufig komplett.

Anbieter von Diensten, die mit Personenbezogenen Daten arbeiten, sollten sich dringend über die gesetzlichen Rahmenbedingungen informieren oder einen auf Datenschutz spezialisierten Anwalt zu Rate ziehen.

Allgemeines Medienrecht

Facebook löscht Impressumslink

Bereits in der letzten berichteten zahlreiche Facebook-User und Social Media-Manager, dass der Impressumslink auf ihren Facebook-Pages verschwunden war. Das ist sehr problematisch, denn kommerzielle genutzte Facebook-Profile sind Telemedien im Sinne des Telemediengesetzes und müssen daher nach §5 TMG ein Impressum vorhalten.

Was sollten Facebook-Nutzer nun tun? Rechtsanwalt, Rechtsblogger und Podcaster Dr. Thomas Schwenke empfiehlt statt des üblichen Links auf die eigene Webpräsenz einfach einen direkten Link auf das Impressum in die Infobox zu packen. Ansonsten gilt es abzuwarten, bis Facebook das Problem gelöst hat…

E-Commerce

OLG München: Link zur OS-Plattform muss klickbar sein

Seit Januar diesen Jahres müssen alle Online Händler in ihrem Impressum einen Link auf die Streitschlichtungsplattform der europäischen Union vorhalten: https://webgate.ec.europa.eu

Fehlt dieser Link, so liegt ein Wettbewerbsrechtsverstoß vor, den Konkurrenten abmahnen können (und erfahrungsgemäß auch werden). Ein neues Urteil des OLG München hat die Vorgabe nun zusätzlich spezifiziert: Der Link auf die Streitschlichtungsplattform muss klickbar sein. Der reine Textlink im Impressum ist nicht ausreichend. Online-Händler sollten die Vorschriften zur Os-Plattform penibel befolgen. Fehlende Angaben zählen mittlerweile zu den häufigsten Abmahngründen.

Sonstiges

Digtalcharta sorgt für Kritik

Am 5. Dezember wurde die so genannte Digitalcharta, eine Erklärung der digitalen Bürgerrechte veröffentlicht. Prominente aus Politik und Medien hatten das Dokument in den letzten 14 Monaten erarbeitet. Darunter Zeit-Herausgeber Giovanni di Lorenzo, Blogger und Digital-Erklärer Sascha Lobo, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Grünen-Politiker Jan Phillip Albrecht.

Vom Grundgedanken her eine interessante Idee hat die Charta in juristischen Fachkreisen massive Kritik hervor gerufen. Die einzelnen Inhalte der Charta sind unausgegoren. Juristische Begriffe werden nicht korrekt verwendet, oder miteinander vermischt.

In seinem Kommentar auf Telemedicus weist Simon Assion zurecht darauf hin, das Grundrechte in der bisherigen Rechtslehre ausschließlich gegen den Staat und nicht direkt gegen andere Bürger geltend gemacht werden können. Zudem bemängelt er, dass in §23 der Charta der EuGH zur höchsten Instanz der Grundrechte erklärt wird. Nach der europäischen Verfassung ist dies jedoch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

Wolfgang Michal bemängelte in seinem Kommentar auf irights, dass die Charta einen zu engen nationalen Bezug habe. Sie verstehe Grundrechte außerdem als Abwehrrechte gegen die Internet-Konzerne des Silicon Valleys und stilisiere den Staat als Schutzmacht der Menschen- und Bürgerrechte hoch. Dabei müsse der Bürger/User im Internet ebenso vor staatlicher Willkür geschützt werden.

In einer sehr harschen Kritik erklärten  Dr. Arnd-Christian Kulow und Thomas Stadler in Stadlers Blog die gesamte Charta gar für unbrauchbar, und nicht einmal dazu geeignet einen Diskurs anzuregen.

Markus Kompa befürchtet insbesondere, dass die Artikel zu Hatespeech eine Einschränkung von Äußerungs- und Meinungsfreiheit bewirken könnten. Er reagierte daher auf die Veröffentlichung der Charta, indem er sich stattdessen Serdar Somuncu anschaute.

Sämtliche juristische Detail-Kritik kann ich hier nicht wiederholen. Die diversen Fehler und Missverständnisse in der Charta lassen jedoch darauf schließen, dass zur Anfertigung des Textes keinerlei juristischer Sachverstand hinzugezogen wurde. Es würde sich empfehlen bei zukünftigen Erklärungen dieser Art entsprechende Fachkompetenz miteinzubeziehen.

Tipps der Woche

Einmal mehr gibt es eine ganze Reihe empfehlenswerter Inhalte.

Die IT-Rechts-Kanzlei hat einen ausführlichen Leitfaden für Online-Händler erstellt. Hierin ist detailliert beschrieben welche Informationen dem Kunden bei einer Online-Bestellung wann zugänglich gemacht werden müssen und was auf gar keinen Fall getan werden darf.

In einem ebenfalls interessanten Artikel hat Stephan Dirks heraus gearbeitet, wer eigentlich bei Urheberrechtsverletzungen auf einer Schulwebsite haftet.

Den aktuellen Stand der Datenschutzregeln für Facebook, Twitter, Google und Co. hat Thomas Schwenke in einem Whitepaper auf 30 Seiten verständlich und mit vielen Beispielen zusammen gefasst. Das Whitepaper kann kostenlos bei allfacebook herunter geladen werden.

Im Jura-Podcast Rechtsbelehrung hat Markus Richter mit seinen Gästen  Beata Hubrig und Niklas Plutte noch einmal den umstrittenen Abmahn-Beantworter des CCC unter die Lupe genommen.

Im August hatte der Chaos Computer Club das Tool zur Verfügung gestellt. Die Opfer unberechtigter Filesharing-Abmahnungen sollten damit automatisiert ein Antwortschreiben generieren können. Während die Online-Presse die Initiative des CCC  überwiegend positiv bewertete, kritisierten Rechtsblogger wie Markus Kompa und Stephan Dirks das Tool. Es sei „gut gemeint aber nicht gut gemacht“ und führe zu zusätzlichen finanziellen Risiken beim Abgemahnten. Auf Grund der starken Meinungsverschiedenheiten hat die Rechtsbelehrung dem Thema nun noch einmal 2 Stunden gewidmet.

 

Wochenrückblick Internet- und Medienrecht KW 46

2 Millionen Raubkopien bei Razzien sicher gestellt. Bruno Kramm mit Klage gegen GEMA erfolgreich. EuGH schränkt Digitalisierung vergriffener Werke ein. Facebook darf Metadaten von Bildern nicht entfernen. Neue Abmahnungen wegen Creative Commons Bildern.

Urheberrecht

2 Millionen Raubkopien sichergestellt

Dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg ist in dieser Woche ein spektakulärer Schlag gegen gewerbsmäßige Raubkopierer gelungen. Bei Razzien im Raum Göppingen und Schwäbisch Hall sowie in Polen konnten circa 2 Millionen rechtswidrig kopierte Ton- und Filmträger sicher gestellt werden. Ein 60-jähriger Mann, soll der Hauptdrahtzieher der Unternehmung sein. Die kopierten CDs und DVDs waren über Internet, Mailorder und kleine Plattenläden wohl europaweit vertrieben worden.

Wer diese Meldung in der letzten Woche nun gehört hat, stellt sich vielleicht folgende Fragen:

1. Frage: Wer zum Henker hört im Jahre 2016 eigentlich noch CDs? Antwort: Eine ganze Menge Menschen. Der Marktanteil der physischen Tonträger am Musik-Markt beträgt immer noch 60%.

2. Frage: Was für Sanktionen drohen den mutmaßlichen Tätern? Urheberrechtlich geschützte Werke, wie Musik oder Filme ohne Erlaubnis des Rechteinhabers zu verwerten ist gemäß § 106 UrhG strafbar und kann mit bis zu 3 Jahren Haft geahndet werden. Passiert die Verwertung gewerblich (was in diesem Fall unzweifelhaft der Fall zu sein scheint) kommt nach §108a sogar eine Gefängnisstrafe von bis zu 5 Jahren in Betracht. Hinzu kommen zivilrechtliche Ansprüche. Denn die Künstler, Plattenfirmen und Filmstudios können für den rechtswidrigen Vertrieb ihrer Kunstwerke Schadenersatz verlangen. Der wird in diesem Fall nach §97 UrhG an den Einkünften der Raubkopierer zu messen sein:

(2) Wer die Handlung vorsätzlich oder fahrlässig vornimmt, ist dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden.[…]

3. Frage: Ich habe eine solche CD widerrechtlich gekauft. Habe ich rechtswidrig gehandelt? Wahrscheinlich nicht. Wenn zum Zeitpunkt des Kaufs nicht erkennbar war, dass es sich um eine Raubkopie handelt, ist der bloße Erwerb von Raubkopien nicht rechtswidrig. Vielmehr könnten Käufer der urheberrechtswidrig hergestellten CDs ihrerseits von den mutmaßlichen Hehlern Nacherfüllung ihres Kaufvertrags fordern. Denn die Käufer wollten ja eine Original-CD erwerben. Dass sie nun nur eine Raubkopie bekommen haben, stellt einen Mangel dar. Nach § 439 BGB ist der Verkäufer in diesem Fall verpflichtet den Mangel zu beseitigen, sprich entweder eine Original-CD für den Käufer zu besorgen oder den Kaufpreis zurückzuerstatten.

Problematisch kann es für Käufer werden, wenn sie die CDs im Internet weiter verkaufen oder selbst Kopien der Datenträger anfertigen. Denn ersteres wäre eine rechtswidrige Verbreitung eines urheberrechtlich geschützten Werks und letzteres eine Kopie einer offensichtlich rechtswidrigen Vorlage. Beides sind abmahnbare Urheberrechtsvergehen.

Auch GEMA darf keine Verlegeranteile auszahlen

Bruno Kramm, der Vorsitzender der Berliner Piratenpartei ist regelmäßigen Lesern dieses Blogs kein Unbekannter. Im April diesen Jahres hatte ich über einen Auftritt Kramms vor der türkischen Botschaft berichtet. Weil er dabei Auszüge aus dem umstrittenen Schmähgedicht von Jan Böhmermann zitierte, wurde er in seiner Rede unterbrochen und von der Polizei in Gewahrsam genommen. Ein für mich bis heute eindeutig rechtswidriges Vorgehen der Polizei:

Nun machte Kramm in seinem eigentlichen Hauptberuf, nämlich als Musiker von sich Reden. Ebenfalls im April hatte der BGH nämlich gegen die Verwertungsgesellschaft VGWort entschieden, dass die Einkünfte aus der Kopiervergütung ausschließlich an die Autoren auszubezahlen seien. Nach der vorherigen Praxis der VGWort waren diese Gelder, die die Verwertungsgesellschaft einzieht, zu gleichen Teilen an Autoren und Verlage verteilt worden:

Ähnlich wie die VGWort regelte die GEMA die Vergabe von Geldern. Die GEMA ist die Verwertungsgesellschaft der Komponisten und Liedtexter. Sie zieht Gebühren zB. von Radiosendern, Club-Betreibern etc. für das Senden und Abspielen von Musik ein, und bezahlt diese dann an die Rechteinhaber aus. Wie die VGWort bezahlte sie jedoch auch einen großen Anteil der Gelder an die entsprechenden Plattenfirmen.

Was bei Autoren und Verlagen rechtswidrig ist, kann bei Musikern und Plattenfirmen nicht rechtens sein, dachte sich Kramm und klagte vor dem Berliner Kammergericht. Das Gericht gab ihm Recht. Sowohl die Einkünfte aus den mechanischen Rechten an Musikwerken als auch an den Aufführungs- und Senderrechten stehen ausschließlich den Urhebern dieser Werke zu.

Das Urteil wird nicht nur Auswirkungen für die konkrete Verteilung der Gelder haben, sondern auch Fragen über die Zusammensetzung der GEMA-Gremien aufwerfen. Momentan haben die Verleger einen großen Einfluss innerhalb der Institution.

Kommentare:

Markus Kompa (Bruno Kramms Anwalt)

FAZ

GEMA-Urteil: Die Künstler haben die Macht

EuGH erschwert Digitalisierung vergriffener Werke

Was geschieht mit Werken, die nicht mehr im offiziellen Handel erhältlich sind? Das ist eine Frage, der sich die Kulturpolitik immer wieder stellen muss. Insbesondere seit durch die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung Werke mit wenig Ressourcenaufwand dauerhaft einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden könnten. Doch was technisch machbar ist, ist noch lange nicht rechtlich erlaubt. Im Falle von Kunstwerken müssen die Urheberrechte der Künstler berücksichtigt werden, weswegen deren Erlaubnis für die Digitalisierung eingeholt werden muss. Keine leichte Aufgabe, denn bei der großen Menge an vergriffenen (und teilweise auch verwaisten) Werken, ist es schwierig bis unmöglich jeden einzelnen Autor oder Künstler um seine Erlaubnis zu fragen.

In Staaten wie Norwegen greift man deswegen auf Extended Collective Licensing zurück. Das bedeutet: Verwertungsgesellschaften dürfen im Namen aller Rechteinhaber eines Bereichs Verträge abschließen und Rechte einräumen, auch im Namen von Rechteinhabern, die gar nicht in der Verwertungsgesellschaft organisiert sind. Das ist unter anderem Rechtsgrundlage für das Mammutprojekt alle norwegischen Bücher zu digitalisieren.

Auch in Frankreich versuchte die Verwertungsgesellschaft Sofia besseren Zugriff zu vergriffenen Werken zu schaffen. Beauftragt durch eine offizielles Dekret digitalisierte die Verwertungsgesellschaft solche Werke und zahlte im Gegenzug den Urhebern eine Pauschale aus. Wollte ein Autor nicht, dass seine Werke weiterhin veröffentlicht werden, so konnte er innerhalb von 6 Monaten gegen die Veröffentlichung Einspruch einlegen.

Diese Regelung ist rechtswidrig, wie nun der EuGH entschied. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ein Autor der Verwertung seiner Werke zustimme, nur weil er dieser nicht widersprochen habe. Es gebe zwar ein Interesse der Öffentlichkeit Zugriff zu vergriffenen Werken zu bekommen. Die bisherigen Gesetze sehen eine Ausnahme vom Urheberrecht für solche Fälle jedoch schlicht nicht vor.

Die Entscheidung hat auch Auswirkungen auf entsprechende Projekte in Deutschland. Das Europäische Parlament sollte dringend neue gesetzliche Regelungen zur Frage verabschieden. Denn die Rechts-Realiät, die der EuGH hier festgestellt hat, hat eigentlich fast nur Verlierer.

Abmahnungen wegen Creative Commons Lizenzen

Wer einen meiner Blogs, meinen Youtube-Kanal oder meine Tätigkeit bei gutefrage.net verfolgt, dem wird aufgefallen sein, dass ich ein riesiger Fan von Creative Commons Lizenzen bin. Die freien Lizenzen, die der amerikanische Professor Lawrence Lessig geschaffen hat, erlauben es Kreativen ihre Werke kostenlos und Rechtssicher der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Ein Angebot, das viele Künstler gerne annehmen. Weltweit gibt es bereits mehr als 1 Milliarde Creative Commons Werke.

Die Lizenz hat jedoch auch ihre Risiken: Wer Creative Commons Werke verwendet, muss die Bedingungen der jeweiligen Creative Commons Lizenz erfüllen. Diese sind nicht immer leicht zu verstehen. Und so kommt es zu vielen Fehlern bei der Nutzung von Creative Commons Werken.

Leider gibt es mittlerweile viele Urheber (vor allem Fotografen), die sich mittels Creative Commons-Bildern bereichern wollen. Sie stellen Fotos unter Creative Commons Lizenz ins Internet, warten bis einzelne User die Bilder nutzen, ohne die Creative Commons Lizenz korrekt zu erfüllen, und mahnen dann ab.

Der hinlänglich bekannte Abmahn-Fotograf Thomas Wolf scheint nach einem aktuellen Bericht der Kanzlei Wilde Beuger Solmecke nun sogar so dreist zu sein, dass er nicht einmal mehr eine Kanzlei mit Abmahnungen beauftragt, sondern selbst Rechnungen für die Nutzung per E-Mail verschickt. Die E-Mails scheinen standartisierte Texte zu enthalten, weshalb Betroffene erst einmal prüfen sollten, ob sie die vorgeworfene Urheberrechtsverletzung überhaupt begangen haben.

Wer Creative Commons lizenzierte Inhalte nutzt, sollte immer genau auf die Einhaltung der Lizenzbedingungen achten.

Anleitung:

Recht bei Youtube: Creative Commons Lizenzen

Facebook muss Metadaten an Bildern beibehalten

Digitale Bilder enthalten so genannte Metadaten. Das sind Informationen zum Aufnahmeort, zur Geräteeinstellung des Fotoapparates oder zu rechtlichen Fragen. Sie werden entweder schon bei der Aufnahme automatisch durch das Aufnahmegerät in die Datei geschrieben, oder im Nachhinein durch entsprechende Tools ergänzt.

Wenn Plattformen oder Soziale Netzwerke Bilder anboten, so wurden diese Metadaten zumeist dabei entfernt. Das rief großen Unmut zum Beispiel bei Berufsfotografen hervor. Denn mittels der Metadaten konnten sie zum Beispiel die Urheberschaft an ihren Fotos nachweisen.

In einem Urteil des LG Hamburg vom 9. Februar, das nun rechtskräftig wurde, gaben die hanseatischen Richter den Fotografen in einer Klage gegen Facebook Recht. Unter anderem hatte sich der Fotografenverband Freelens auf §95 c UrhG berufen, nach dem zur Rechtewahrnehmung erforderlichen Informationen nicht vom Werk entfernt werden dürfen. Wie Facebook nun auf das Urteil reagieren wird, ist noch unklar.

Wettbewerbsrecht

Ist vergleichende Werbung verboten?

Die eigenen Waren und Dienstleistungen, so eine verbreitete Meinung, darf in der Werbung nicht mit den Angeboten von Konkurrenten verglichen werden. So einfach ist es jedoch nicht, wie nun das OLG Frankfurt erneut bestätigte. Im vorliegenden Fall hatte ein Kosmetik-Hersteller geklagt, weil ein Konkurrent mit folgendem Slogan geworben hatte:

„X-Skin Care-System“ – die neue Aloe Vera Systempflege bietet eine funktionelle gleichwertige und preiswerte Alternative zu der Pflegeserie „Aloe Vera System I von Y“

Unzulässig? Grundsätzlich nicht , entschied das OLG Frankfurt. Denn vergleichende Werbung ist dann erlaubt, wenn die Produkte tatsächlich vergleichbar sind und die Werbeaussagen belegt werden können. Im vorliegenden Fall war die Werbung jedoch trotzdem rechtswidrig, weil die grafische Anordnung der Produkte irreführend gewesen sei.

Vergleichende Werbung ist also nicht grundsätzlich verboten. Wer eine vergleichende Werbemaßnahme plant, sollte jedoch einen auf Wettbewerbsrecht spezialisierten Fachanwalt zu rate ziehen.

Datenschutz

Knöllchen Horst und die Dashcam

Das Verwaltungsgericht Göttingen hatte einen kuriosen Fall zu entscheiden. Im Mittelpunkt: Ein geschätzter Mitbürger, dem die Medien den Künstlernamen Knöllchen Horst verliehen haben. Knöllchen Horst hatte an seinem Auto eine Kamera befestigt, mit der er regelmäßig den Straßenverkehr überwachte. Falschparker und andere Verkehrssünder, die er dabei entdeckte, meldete er an die zuständigen Behörden und lieferte durch das Videomaterial gleich die Beweismittel mit.

An Knöllchen Horsts Überwachung störten sich nun nicht nur seine Mitbürger sondern auch der niedersächsische Datenschutzbeauftragte. Er verfügte, dass Knöllchen Horst seine Überwachungstätigkeit einzustellen habe. Dagegen wehrte sich der Betroffene vor dem Verwaltungsgericht Göttingen. Vergeblich.

Indem er seine Mitbürger und Verkehrsteilnehmer mit der Dashcam aufnahm, sammelte Knöllchen Horst nämlich laut Urteilsbegründung des Göttinger Gerichts Personenbezogene Daten. Nach dem §1 des Bundesdatenschutzgesetzes ist dies lediglich für persönliche oder familiäre Zwecke zulässig. Die Beobachtung von Verkehrsteilnehmern sah das Gericht hiervon nicht gedeckt. Insofern durfte Knöllchen Horst die Aufnahmen nicht machen. Es sei denn er hätte von jedem einzelnen Falschparker eine Erlaubnis für die Erhebung seiner Daten eingeholt und ihn dabei belehrt  zu welchem Zweck die Daten erhoben werden.

Ob die Übergabe der Filmaufnahmen an die Polizei in diesem Falle als Auftragsdatenverarbeitung zu bewerten wäre, müsste ein Gericht gesondert entscheiden…

Sonstiges

Vorratsdatenspeicherung in der Schweiz bleibt zulässig

In der Schweiz hatten Bürgerrechtler gegen die Vorratsdatenspeichrung geklagt. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte die klage nun ab. Die Grundrechte der Bevölkerung seien nicht in unzulässigem Maße eingeschränkt. Die Erfassung der Kommunikationsdaten diene der Strafverfolgung und liege deshalb im öffentlichen Interesse.

Lese/Hör-Empfehlungen

Aus der Rechts-Blogosphäre habe ich in dieser Woche gleich drei Empfehlungen. 2 Podcasts und einen Blog-Artikel.

Zunächst hat die Heise-Show sich in einem 40-minütigen Podcast damit beschäftigt, welche rechtlichen Regelungen für private Drohnen sinnvoll und notwendig sind.

Vor einigen Wochen hatte ich bereits angekündigt, dass die beiden größten deutschen Jura-Podcasts Rechtsbelehrung und Jurafunk eine gemeinsame Folge planen. Seit Donnerstag ist diese nun online. Das Thema ist passenderweise Recht für Podcaster.

Anlässlich der Podcast-Folge habe ich mir noch einmal den Blog von Jurafunk-Betreiber Stephan Dirks angeschaut und dort eine sehr ausführliche und verständliche Überblicksdarstellung über die Rechtsprechung des BGH zum Thema Filesharing gefunden. Wie mehrere Urteile in den letzten Wochen zeigen, scheint die Rechtsprechung wenigstens in Puncto „Haftung für Angehörige“ im Umdenken begriffen zu sein.

 

Regierung will Störerhaftung abschaffen?

Die Große Koalition hat angekündigt die umstrittene Störerhaftung für offene W-LANs abzuschaffen. Fachjuristen, die Öffentlichkeit, Wirtschaftsvertreter und zuletzt der EuGH hatten die Regierung stark unter Druck gesetzt. Für allzu Große Freudenausbrüche ist es jedoch zu früh…

Online-Rechtsthemen schaffen es selten in die Mainstream-Schlagzeilen. Wenn nun Medien wie Zeit, Frankfurter Rundschau, Spiegel und heise synchron berichteten, zeigt das wie groß diese Meldung ist: Die Regierungskoalition will die Störerhaftung abschaffen, bestätigte auch Justizminister Heiko Maaß bei Twitter.


Das Netz jubelte. In sozialen Netzwerken zeigte sich ausgelassene Freude. Wirtschaftsverbände wie der Digitalverband Bitkom begrüßten die Entscheidung.
Sollten sich die Hoffnungen bewahrheiten, wäre das das Ende eines merkwürdigen rechtlichen Sonderwegs in Deutschland.

 

Was ist die Störerhaftung?

Störerhaftung ist ursprünglich überhaupt kein reiner Begriff des Internet-Rechts, sondern leitet sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ab:

§1004 BGB

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

Musterbeispiel für einen klassischen Anwendungsfall: Ein morscher Baum wächst von meinem Grundstück auf das meines Nachbarn herüber. Ich muss verhindern, dass der Baum auf das Nachbarhaus stürzt. Darauf hat mein Nachbar Anspruch, obwohl ich den Baum nicht absichtlich oder durch eigenes Zutun auf sein Haus stürzen lasse. Dadurch, dass der Baum auf meinem Grundstück wächst, habe ich bestimmte Pflichten.

Jahrzehnte lang war der Begriff der Störerhaftung nur wenigen Fachjuristen bekannt und führte zu fast keinen Streitigkeiten. Dann kam der BGH.

Störerhaftung bei W-LANs

In seiner Grundsatzentscheidung „Sommer unseres Lebens“ legte der BGH im Jahre 2010 grundsätzlich fest, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für alle Rechtsverstöße als Störer haftet, die von seiner IP-Adresse aus begangen werden. Es sei denn er hat sein W-LAN durch Sicherheitsmaßnahmen auf aktuellem Stand geschützt.

Die Entscheidung war ein Novum in Europa und allen sonstigen westlichen Industriestaaten. Und es muss hier noch einmal ausdrücklich betont werden: Die Politik war hier vollkommen unschuldig. Der BGH hat die Grundlagen seiner ständigen Rechtsprechung durch eine … sagen wir sehr weitgehende Auslegung bestehender Gesetze geschaffen.

Störerhaftung: Juristisch haltbar?

Der gewichtigste Rechtsgrund gegen die Störerhaftung ist der Artikel 10 des Telemediengesetzes:

§10 TMG

Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern

(1) sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, […]

Der BGH hatte dagegen bisher stets argumentiert: Die Artikel 9 – 11 des Telemediengesetzes seien auf Unterlassungsansprüche (wie sie etwa bei Abmahnungen gegen Urheberrechtsverstöße geltend gemacht werden) nicht anwendbar.

Anwalt und Rechtsblogger Thomas Stadler hatte bereits 2010 darauf hingewiesen, dass diese Rechtsansicht sowohl der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch der Rechtsprechung des BGH an anderer Stelle widerspricht.

Wer sich mit der (fragwürdigen) juristischen Argumentation zur Störerhaftung genauer auseinander setzen will, dem sei der Podcast „Rechtsbelehrung“ von Thomas Schwenke und Markus Richter empfohlen.

Etwa bei 1.00.00 bringt Markus Richter den Stand der Diskussion sehr gut auf den Punkt.

Markus Richter: Das ist doch alles total absurd!!!

Grund für die Gesetzesänderung: der EuGH

Anlass für die nun so plötzlichen Bemühungen der Regierungskoalition ist die Äußerung des Generalanwalts am EuGH vom 16. März diesen Jahres. In dem konkreten Fall klagt ein Mitglied der Piratenpartei aus München in Brüssel. Der beklagte hatte ein offenes W-Lan betrieben und weigerte sich Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche für eine Urheberrechtsverletzung zu übernehmen, die von seiner IP aus begangen worden waren. Der Generalanwalt Szpunar gab ihm Recht. Von einem W-LAN-Anbieter könne nicht verlangt werden, sein W-LAN zu verschlüsseln. Das Urteil des EuGH in dem Fall liegt noch nicht vor. Das Gericht folgt jedoch häufig dem Antrag des Generalanwalts.

Auf diesen Druck aus Brüssel ist der neue Anlauf der Regierungskoalition zurück zu führen. Bis der konkrete Gesetzesentwurf vorliegt, genieße ich die Ankündigung mit Vorsicht. Die Regierung hatte schon im September letzten Jahres großspurig die Abschaffung der Störerhaftung angekündigt. Im Gesetzesentwurf fanden sich dann aber Regelungen, die im Gegenteil die irrwitzige Rechtsprechung des BGH sogar fest gegossen hätten.

Der deutsche Sonderweg der Störerhaftung ist noch nicht beendet.