Die Große Koalition hat angekündigt die umstrittene Störerhaftung für offene W-LANs abzuschaffen. Fachjuristen, die Öffentlichkeit, Wirtschaftsvertreter und zuletzt der EuGH hatten die Regierung stark unter Druck gesetzt. Für allzu Große Freudenausbrüche ist es jedoch zu früh…
Online-Rechtsthemen schaffen es selten in die Mainstream-Schlagzeilen. Wenn nun Medien wie Zeit, Frankfurter Rundschau, Spiegel und heise synchron berichteten, zeigt das wie groß diese Meldung ist: Die Regierungskoalition will die Störerhaftung abschaffen, bestätigte auch Justizminister Heiko Maaß bei Twitter.
Der Weg für mehr freies #WLAN ist endlich frei. Die Abschaffung der #Stoererhaftung ist ein überfälliger und wichtiger Schritt.
— Heiko Maas (@HeikoMaas) 11. Mai 2016
Das Netz jubelte. In sozialen Netzwerken zeigte sich ausgelassene Freude. Wirtschaftsverbände wie der Digitalverband Bitkom begrüßten die Entscheidung.
Sollten sich die Hoffnungen bewahrheiten, wäre das das Ende eines merkwürdigen rechtlichen Sonderwegs in Deutschland.
Was ist die Störerhaftung?
Störerhaftung ist ursprünglich überhaupt kein reiner Begriff des Internet-Rechts, sondern leitet sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ab:
§1004 BGB
(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
Musterbeispiel für einen klassischen Anwendungsfall: Ein morscher Baum wächst von meinem Grundstück auf das meines Nachbarn herüber. Ich muss verhindern, dass der Baum auf das Nachbarhaus stürzt. Darauf hat mein Nachbar Anspruch, obwohl ich den Baum nicht absichtlich oder durch eigenes Zutun auf sein Haus stürzen lasse. Dadurch, dass der Baum auf meinem Grundstück wächst, habe ich bestimmte Pflichten.
Jahrzehnte lang war der Begriff der Störerhaftung nur wenigen Fachjuristen bekannt und führte zu fast keinen Streitigkeiten. Dann kam der BGH.
Störerhaftung bei W-LANs
In seiner Grundsatzentscheidung „Sommer unseres Lebens“ legte der BGH im Jahre 2010 grundsätzlich fest, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für alle Rechtsverstöße als Störer haftet, die von seiner IP-Adresse aus begangen werden. Es sei denn er hat sein W-LAN durch Sicherheitsmaßnahmen auf aktuellem Stand geschützt.
Die Entscheidung war ein Novum in Europa und allen sonstigen westlichen Industriestaaten. Und es muss hier noch einmal ausdrücklich betont werden: Die Politik war hier vollkommen unschuldig. Der BGH hat die Grundlagen seiner ständigen Rechtsprechung durch eine … sagen wir sehr weitgehende Auslegung bestehender Gesetze geschaffen.
Störerhaftung: Juristisch haltbar?
Der gewichtigste Rechtsgrund gegen die Störerhaftung ist der Artikel 10 des Telemediengesetzes:
§10 TMG
Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern
(1) sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, […]
Der BGH hatte dagegen bisher stets argumentiert: Die Artikel 9 – 11 des Telemediengesetzes seien auf Unterlassungsansprüche (wie sie etwa bei Abmahnungen gegen Urheberrechtsverstöße geltend gemacht werden) nicht anwendbar.
Anwalt und Rechtsblogger Thomas Stadler hatte bereits 2010 darauf hingewiesen, dass diese Rechtsansicht sowohl der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch der Rechtsprechung des BGH an anderer Stelle widerspricht.
Wer sich mit der (fragwürdigen) juristischen Argumentation zur Störerhaftung genauer auseinander setzen will, dem sei der Podcast „Rechtsbelehrung“ von Thomas Schwenke und Markus Richter empfohlen.
Etwa bei 1.00.00 bringt Markus Richter den Stand der Diskussion sehr gut auf den Punkt.
Markus Richter: Das ist doch alles total absurd!!!
Grund für die Gesetzesänderung: der EuGH
Anlass für die nun so plötzlichen Bemühungen der Regierungskoalition ist die Äußerung des Generalanwalts am EuGH vom 16. März diesen Jahres. In dem konkreten Fall klagt ein Mitglied der Piratenpartei aus München in Brüssel. Der beklagte hatte ein offenes W-Lan betrieben und weigerte sich Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche für eine Urheberrechtsverletzung zu übernehmen, die von seiner IP aus begangen worden waren. Der Generalanwalt Szpunar gab ihm Recht. Von einem W-LAN-Anbieter könne nicht verlangt werden, sein W-LAN zu verschlüsseln. Das Urteil des EuGH in dem Fall liegt noch nicht vor. Das Gericht folgt jedoch häufig dem Antrag des Generalanwalts.
Auf diesen Druck aus Brüssel ist der neue Anlauf der Regierungskoalition zurück zu führen. Bis der konkrete Gesetzesentwurf vorliegt, genieße ich die Ankündigung mit Vorsicht. Die Regierung hatte schon im September letzten Jahres großspurig die Abschaffung der Störerhaftung angekündigt. Im Gesetzesentwurf fanden sich dann aber Regelungen, die im Gegenteil die irrwitzige Rechtsprechung des BGH sogar fest gegossen hätten.
Der deutsche Sonderweg der Störerhaftung ist noch nicht beendet.