Regierung will Störerhaftung abschaffen?

Die Große Koalition hat angekündigt die umstrittene Störerhaftung für offene W-LANs abzuschaffen. Fachjuristen, die Öffentlichkeit, Wirtschaftsvertreter und zuletzt der EuGH hatten die Regierung stark unter Druck gesetzt. Für allzu Große Freudenausbrüche ist es jedoch zu früh…

Online-Rechtsthemen schaffen es selten in die Mainstream-Schlagzeilen. Wenn nun Medien wie Zeit, Frankfurter Rundschau, Spiegel und heise synchron berichteten, zeigt das wie groß diese Meldung ist: Die Regierungskoalition will die Störerhaftung abschaffen, bestätigte auch Justizminister Heiko Maaß bei Twitter.


Das Netz jubelte. In sozialen Netzwerken zeigte sich ausgelassene Freude. Wirtschaftsverbände wie der Digitalverband Bitkom begrüßten die Entscheidung.
Sollten sich die Hoffnungen bewahrheiten, wäre das das Ende eines merkwürdigen rechtlichen Sonderwegs in Deutschland.

 

Was ist die Störerhaftung?

Störerhaftung ist ursprünglich überhaupt kein reiner Begriff des Internet-Rechts, sondern leitet sich aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ab:

§1004 BGB

(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.

Musterbeispiel für einen klassischen Anwendungsfall: Ein morscher Baum wächst von meinem Grundstück auf das meines Nachbarn herüber. Ich muss verhindern, dass der Baum auf das Nachbarhaus stürzt. Darauf hat mein Nachbar Anspruch, obwohl ich den Baum nicht absichtlich oder durch eigenes Zutun auf sein Haus stürzen lasse. Dadurch, dass der Baum auf meinem Grundstück wächst, habe ich bestimmte Pflichten.

Jahrzehnte lang war der Begriff der Störerhaftung nur wenigen Fachjuristen bekannt und führte zu fast keinen Streitigkeiten. Dann kam der BGH.

Störerhaftung bei W-LANs

In seiner Grundsatzentscheidung „Sommer unseres Lebens“ legte der BGH im Jahre 2010 grundsätzlich fest, dass der Inhaber eines Internetanschlusses für alle Rechtsverstöße als Störer haftet, die von seiner IP-Adresse aus begangen werden. Es sei denn er hat sein W-LAN durch Sicherheitsmaßnahmen auf aktuellem Stand geschützt.

Die Entscheidung war ein Novum in Europa und allen sonstigen westlichen Industriestaaten. Und es muss hier noch einmal ausdrücklich betont werden: Die Politik war hier vollkommen unschuldig. Der BGH hat die Grundlagen seiner ständigen Rechtsprechung durch eine … sagen wir sehr weitgehende Auslegung bestehender Gesetze geschaffen.

Störerhaftung: Juristisch haltbar?

Der gewichtigste Rechtsgrund gegen die Störerhaftung ist der Artikel 10 des Telemediengesetzes:

§10 TMG

Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern

(1) sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, […]

Der BGH hatte dagegen bisher stets argumentiert: Die Artikel 9 – 11 des Telemediengesetzes seien auf Unterlassungsansprüche (wie sie etwa bei Abmahnungen gegen Urheberrechtsverstöße geltend gemacht werden) nicht anwendbar.

Anwalt und Rechtsblogger Thomas Stadler hatte bereits 2010 darauf hingewiesen, dass diese Rechtsansicht sowohl der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch der Rechtsprechung des BGH an anderer Stelle widerspricht.

Wer sich mit der (fragwürdigen) juristischen Argumentation zur Störerhaftung genauer auseinander setzen will, dem sei der Podcast „Rechtsbelehrung“ von Thomas Schwenke und Markus Richter empfohlen.

Etwa bei 1.00.00 bringt Markus Richter den Stand der Diskussion sehr gut auf den Punkt.

Markus Richter: Das ist doch alles total absurd!!!

Grund für die Gesetzesänderung: der EuGH

Anlass für die nun so plötzlichen Bemühungen der Regierungskoalition ist die Äußerung des Generalanwalts am EuGH vom 16. März diesen Jahres. In dem konkreten Fall klagt ein Mitglied der Piratenpartei aus München in Brüssel. Der beklagte hatte ein offenes W-Lan betrieben und weigerte sich Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche für eine Urheberrechtsverletzung zu übernehmen, die von seiner IP aus begangen worden waren. Der Generalanwalt Szpunar gab ihm Recht. Von einem W-LAN-Anbieter könne nicht verlangt werden, sein W-LAN zu verschlüsseln. Das Urteil des EuGH in dem Fall liegt noch nicht vor. Das Gericht folgt jedoch häufig dem Antrag des Generalanwalts.

Auf diesen Druck aus Brüssel ist der neue Anlauf der Regierungskoalition zurück zu führen. Bis der konkrete Gesetzesentwurf vorliegt, genieße ich die Ankündigung mit Vorsicht. Die Regierung hatte schon im September letzten Jahres großspurig die Abschaffung der Störerhaftung angekündigt. Im Gesetzesentwurf fanden sich dann aber Regelungen, die im Gegenteil die irrwitzige Rechtsprechung des BGH sogar fest gegossen hätten.

Der deutsche Sonderweg der Störerhaftung ist noch nicht beendet. 

Related Posts
Die Staatsanwaltschaft Mainz stellt das Verfahren gegen Jan Böhmermann ein. Seit letzten Samstag können Verträge per E-Mail gekündigt werden. Der BGH stärkt Anschlussinhaber bei Abmahnungen. Neue Regeln für Amazon-Bewertungen. Der ...
READ MORE
wrupcich / Pixabay
Kostenlose Bilddatenbanken sind für Blogger ein Segen, denn ein Blogartikel ohne Bilder wird es im Jahr 2016 sehr schwer haben Aufmerksamkeit bei den Lesern zu finden: Facebook-Posts mit Bildern haben ...
READ MORE
Photo by Skley
Die Entscheidungsgründe für das Urteil des Berliner Landgericht gegen Wikipedia liegen nun vor. Im Rechtsstreit  mit dem Reiss-Engelhorn-Museum war der Online-Enzyklopädie verboten worden einige Bilder zu verwenden. Meine Analyse der ...
READ MORE
jarmoluk / Pixabay
Kostenlose Bilder für die eigenen Projekte zu finden, kann sehr schwierig sein. Deswegen habe ich hier eine Liste kostenloser Bilddatenbanken zusammen gestellt. Wer sich mit Urheber und Medienrecht noch nicht ...
READ MORE
stux / Pixabay
Jubel und Begeisterung in allen Sozialen Netzwerken: Die GEMA und Youtube haben sich nach etlichen Jahren endlich auf eine Vergütung geeinigt. Videos mit GEMA-Musik werden nicht mehr länger automatisch gesperrt. ...
READ MORE
IO-Images / Pixabay
BND-Gesetz. EuGH schafft größeren Spielraum zum Tracking von IP-Adressen. Telefonnummer im Impressum bei Online-Shops nicht zwingend nötig. Wirtschaftsministerium will bei Störerhaftung nachbessern. EU-Kommission will Filterfunktionen für Content-Provider. Es war eine ereignisreiche ...
READ MORE
EU Parlament in Straßburg (Frankreich) Foto von Frank MargoCC-BY 2.0
In mehreren Entwürfen hat die EU-Kommission heute ihre Pläne zur EU Urheberrechtsreform vorgelegt. Die Vorschläge lösen im Urheberrecht wenige grundsätzliche Probleme, schaffen aber viele neue: Insbesondere das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ...
READ MORE
LG Hamburg schränkt Linkfreiheit massivein. Auch private Blogs können als journalistisch-redaktionelle Medien gelten.  OS-Plattform-Link muss klickbar sein. Facebook löscht Impressums-Link. Heftige Kritik an Digitalcharta. Gesundheits-Apps verstoßen gegen Datenschutz. Neue Filesharing-Fälle. Urheberrecht LG ...
READ MORE
Photo by attila_pjo
Das Reiss-Engelhorn-Museum hat sich vor dem Landgericht Berlin gegen die Wikipedia durchgesetzt. Streitpunkt waren mehrere gemeinfreie Werke aus dem Museum, die die Wikipedia digital zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem ...
READ MORE
geralt / Pixabay
Böhmermann-Verfahren ist endgültig beendet. Reiss Engelhorn Museum verklagt erneut Wikipedia-Nutzer. Verlage müssen Gelder an die VG-Wort zurück erstatten. Einwilligungen zu Werbemails können durch Zeitablauf erlöschen. EU legt Entwurf zum kulturellen ...
READ MORE
Wochenrückblick: Internet- und Medienrecht KW 40
Kostenlose Bilddatenbanken: Was ist rechtlich zu beachten?
Urteil gegen Wikipedia – Die Entscheidungsgründe des LG
Liste: Kostenlose Bilddatenbanken
GEMA und Youtube einigen sich – Was
Wochenrückblick Internet- und Medienrecht KW 42
EU Urheberrechtsreform – Angriff auf das Netz
Wochenrückblick Internet- und Medienrecht KW 49
Reiss Engelhorn Museum verklagt Wikipedia
Wochenrückblick: Internet- und Medienrecht KW41

 
Avatar-Foto

Thomas Morus

Thomas Morus (1478-1535) war Autor, Staatsmann und Jurist. Und lehrte als Professor für Jura an der Law-School Lincoln's Inn. Als Autor und Poet schrieb er Prosa und philosophische Abhandlungen. Sein berühmtestes Werk ist die Utopia. In ihr entwirft er eine perfekte Gesellschaft, in der alle Menschen in Frieden leben und sich nach ihren Möglichkeiten entwickeln können. Hinter dem digitalen Thomas Morus steckt Thomas Reeh. Journalist, Online-Redakteur und Blogger.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.