Wochenrückblick: Internet- und Medienrecht KW 40

Die Staatsanwaltschaft Mainz stellt das Verfahren gegen Jan Böhmermann ein. Seit letzten Samstag können Verträge per E-Mail gekündigt werden. Der BGH stärkt Anschlussinhaber bei Abmahnungen. Neue Regeln für Amazon-Bewertungen. Der rechtliche Wochenrückblick für die 40. Kalenderwoche 2016.

Wochenrückblicke sind kein einfaches Medienformat. Mal gibt es in einer zu viele Meldungen, um auf alle einzugehen. Mal ist Medienflaute und es will sich in einer Woche einfach nichts tun. Im Bereich des Internet- und Medienrechts passiert aber eigentlich immer genug, um einen Artikel zu füllen. Im Gegenteil hat mich in der Vergangenheit immer etwas geärgert, dass ich nicht alle Meldungen in einem ausführlichen Kommentar behandeln konnte. Deswegen versuche ich ab dieser Woche einmal einen wöchentlichen Rückblick auf die wichtigsten Meldungen im Internet-Recht.

Verfahren gegen Böhmermann eingestellt

Selten hat ein juristisches Verfahren die Gemüter in Deutschland so erhitzt, wie das polemische Gedicht des Satirikers Jan Böhmermann zu Beginn dieses Jahres. Quer durch alle Talk-Shows, News-Kommentarspalten und Facebook-Gruppen diskutierten die Deutschen auf einmal über Ehrdelikte, Schmähkritik und Majestätsbeleidigung. Letztendlich musste sich sogar die Bundeskanzlerin öffentlich zu einem Satirestück äußern. Ein Novum in der Nachkriegsgeschichte. Erschwerend kam für die unübersichtliche Debatte hinzu, dass der zu Grunde liegende rechtliche Sachverhalt nicht eben einfach war. Tatsächlich war die Rechtslage so kompliziert, das es mich in einem Youtube-Video 17:40 Minuten gekostet hat, sie erschöpfend aufzuarbeiten:

Seit diesem Dienstag ist das strafrechtliche Nachspiel des Prozesses nun beendet. Die Staatsanwaltschaft konnte nach ihrer Stellungnahme keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Beleidigung sehen. Schon, ob das Schmähgedicht überhaupt objektiv als Beleidigung betrachtet werden könne, sei offen, weil es im Kontext der Show ja lediglich als Beispiel für eine rechtswidrige Beleidigung genutzt wurde. Zudem sei durch die Übertriebenheit der Vorwürfe klar zu ersehen, dass es sich um Satire handele. Die Meinungsäußerungsfreiheit und Kunstfreiheit hätten den Schutz von Erdogans Ehre deshalb klar überwogen. Kurz gesagt: Die Staatsanwaltschaft kam zur gleichen Einschätzung, die ich und viele Rechtsblogger schon damals geäußert hatten. (Siehe Video oben)

Böhmermann selbst äußerte sich in einem polemischen Youtube-Video zu den Ergebnissen der Staatsnwaltschaft und freute sich, dass sein „Jura-Proseminar“ endlich Verständnis gefunden habe. Der juristische Spießroutenlauf ist für den Moderator jedoch noch nicht beendet. Im November wird vor der Zivilkammer des Hamburger Landgerichts die privatrechtliche Klage von Erdogan gegen Böhmermann weiter verhandelt. In erster Instanz hatte das Gericht in einem bizarren Urteil dem türkischen Präsidenten Recht gegeben. (Kommentar von Markus Kompa)

Da die strafrechtliche Frage nun geklärt ist, ist zu hoffen, dass auch das juristische Verfahren gegen den Berliner Piratenpartei Vorsitzenden Bruno Kramm nun eingestellt wird. Dieser war verhaftet worden, weil er im Rahmen einer Demonstration Teile des Gedichts zitiert und analysiert hatte.

Verträge können per E-Mail gekündigt werden

Am 1. Oktober kam es zu einer wichtigen Änderung am § 309 Nr. 13 des BGB, der den Rechtsrahmen für AGBs bildet. Der Begriff „Schriftform“ wurde durch den Begriff „Textform“ ersetzt. Zukünftig können Bestellungen oder Dienstleistungsverhältnisse also nach den AGB per E-Mail gekündigt werden. Online-Shop-Betreiber sollten schleunigst ihre AGB aktualisieren. Denn sonst sind die AGBs nicht nur unwirksam. Die veraltete AGB stellt auch einen abmahnbaren Wettbewerbsverstoß dar.

Mehr Info in den Artikeln zum Thema von Thomas Stadler und Thomas Schwenke

Abmahnungen: BGH stärkt Anschlussinhaber

Werden in Deutschland von einem Internetanschluss aus Urheberrechtsverletzungen wie Filesharing begangen, dann gilt zunächst der Anschlussinhaber als Täter, bis er anderes nachweisen kann. Daran wird sich auch durch ein aktuelles Gesetzgebungsverfahren nichts ändern. Abmahnanwälte haben also weiter leichtes Spiel. Denn herauszufinden, von welchem Anschluss aus eine Urheberrechtsverletzung ausgeführt wurde, ist unendlich viel einfacher als nachzuweisen, wer diese Urheberrechtsverletzung tatsächlich begangen hat. Zum Glück hatte der BGH bereits in den letzten Jahren langsam eine Änderung seiner ständigen Rechtsprechung eingeleitet: In immer mehr Fällen entschied er für den Anschlussinhaber, wenn dieser nachweisen konnte, dass zB. auch Mitbewohner oder erwachsene Familienmitglieder als Täter in Frage kamen. Unklar war bis jetzt, wie umfangreich ein Anschlussinhaber nachforschen muss, um nachzuweisen, dass eine andere Person den Rechtsverstoß begangen haben kann. In einem Urteil vom Donnerstag hat der BGH genau das nun spezifiziert: Es genügt demnach, wenn der Anschlussinhaber den Namen eines anderen Nutzers nennt und klar machen kann, dass dieser Zugriff auf den Internetanschluss hat. Es ist demnach nicht zumutbar seine Freunde oder Familienangehörigen zu verhören, Computer oder andere Endgeräte zu durchsuchen oder gar ständig zu überwachen, wer den Internetanschluss gerade nutzt.

Ein weiterer Schritt, der es Abmahnanwälten zukünftig schwerer machen könnte.

Amazon verbietet Incentivized Reviews

Nach einer Änderung in den Amazon AGB sind so genannte Incentivized Reviews zukünftig verboten. Das sind Produktbewertungen für die Kunden eine Gegenleistung, etwa ein kostenloses Rezensionsexemplar oder einen Gutschein bekommen. Incentivized reviews standen schon lange im Ruf nicht objektiv zu sein. Amazon führt eine aktuelle Studie an, nach der incentivized reviews im Durchschnitt 0,3 Sterne besser bewerten, als ein Produktbewertungen, für die keine Gegenleistung angeboten wurde.

In Deutschland können incentivized reviews ohnehin einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht darstellen. Mehr dazu hier.

Amtlich: Abmahnungen gehen weiter

2013 wurde das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken beschlossen. Ziel war es dem ausufernden Abmahnwesen, vor allem gegen Privatleute endlich Einhalt zu gebieten. Für nicht gewerbliche Ersttäter wurde der Gegenstandswert im Falle einer Abmahnung deswegen auf 1.000 Euro beschränkt. Ein Gegenstandswert von 1.000 Euro bedeutet, dass ein Abgemahnter nicht mehr als 150 Euro + Schadenersatz zahlen muss.

Am Gesetz wurde schnell Kritik laut. Die Rechtsbegriffe seien zu unbestimmt. Ob das Gesetz eine Wirkung habe, sei deswegen fraglich. Vor allem irights.info hatte die Umsetzung des Gesetzes in der Praxis beobachtet und seine begrenzte Wirkung beklagt. Nun bekommt das Portal neue Munition: Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hat eine Studie veröffentlicht. Die Ergebnisse beruhen auf der Befragung von Abgemahnten, die Beratungsangebote der Verbraucherschutzzentralen in Anspruch genommen haben.

In mehr als einem Drittel hätten die Abmahner danach Sonderregeln für sich geltend gemacht, wonach der Höchststreitwert im vorliegenden Fall keine Anwendung finde. Die durchschnittlichen Summen, die in Abmahnungen gefordert würden, seien nach der Studie seit 2013 eher gestiegen. Der Grund hierfür sei, dass Anwälte seitdem weniger Nachlass bei den angebotenen Vergleichssummen anböten.

Die Studien-Ergebnisse scheinen dafür zu sprechen, dass große Unklarheit über die Rechtslage und die verwendeten Begriffe herrscht. Im konkreten Fall ist deswegen oft nicht klar, ob die Regelungen aus §97a Nummer 3 UrhG Anwendung finden.

Gemeinsame Episode: Jurafunk und Rechtsbelehrung

Und noch eine Nachricht für alle Podcaster: Die beiden größten deutschen Jura-Podcasts Rechtsbelehrung mit Thomas Schwenke und Marcus Richter und Jurafunk mit Stephan Dirks und Henry Krasemann planen offenbar demnächst eine gemeinsame Episode. Das Thema lautet passenderweise: Recht für Podcaster. Wer einen eigenen Podcast betreibt und rechtliche Fragen dazu hat, kann diese hier stellen. Ausgewählte Fragen werden die Juristen dann im Podcast beantworten.