Die Entscheidungsgründe für das Urteil des Berliner Landgericht gegen Wikipedia liegen nun vor. Im Rechtsstreit mit dem Reiss-Engelhorn-Museum war der Online-Enzyklopädie verboten worden einige Bilder zu verwenden. Meine Analyse der Entscheidungsgründe.
Für das desaströse Urteil des LG Berlin hat die Wikicommons-Foundation mittlerweile die Urteilsbegründung veröffentlicht. Warum das Urteil aus meiner Sicht ein vollkommen falsches Signal sendet und womöglich schwere Folgen für die Kultur im Internet haben wird, habe ich bereits hier erläutert. Doch widmen wir uns den Entscheidungsgründen doch einmal im Einzelnen.
Gemäldereproduktionen sind keine Werke
Wie nach der Pressemeldung der Wikimedia Foundation schon abzusehen war, ist das Internet immerhin von der absurden Maximalforderung des Reiss-Engelhorn-Museums und der Kanzlei Müller Müller Rössner verschont geblieben. Bloße Fotografische Reproduktionen von Gemälden sind keine urheberrechtlich geschützten Werke. Das erkannte auch das LG Berlin an:
Bei den 17 streitgegenständlichen Reproduktionsfotos handelt es sich nicht um Lichtbildwerke im Sinne des §2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG.
Was Abmahn-Anwalt Carl Christian Müller in der Überschrift zu seinem Blog-Beitrag schreibt, ist somit schlicht falsch! Die Gemäldereproduktionen sind nach dem Urteil des Landgerichts eben nicht urheberrechtlich geschützt sondern lediglich als Lichtbilder.
Lichtbildschutz?
Die eigentlich kontroverse Frage in dem Urteil war, ob das Landgericht die Gemäldereproduktionen als Lichtbilder nach §72 UrhG ansehen würde. Der Lichtbildschutz ist ein so genanntes Leistungsschutzrecht. Von ihm sind Fotografien auch dann geschützt, wenn die schöpferisch-kreative Leistung nicht ausreicht, um einen klassischen Urheberrechtsschutz zu begründen. Lichtbildschutz schützt die Arbeitsleistung und nicht die künstlerische Qualität eines Fotos.
Jedoch hat der BGH bereits 1989 in seinem Bibelreproduktionsurteil klar gemacht, dass Foto-Reproduktionen gemeinfreier Vorlagen mindestens nicht in jedem Fall Lichtbildschutz genießen:
aa) […] Der technische Reproduktionsvorgang allein begründet aber noch keinen Lichtbildschutz. Die Erweiterung des Lichtbildschutzes durch § 72 UrhG […]
Vielmehr müsse eine bestimmte geistige Leistung in der Fotografie-Arbeit erkennbar sein, damit das Bild in den Schutzbereich von §72 UrhG fällt.
[…]. Sind es aber in erster Linie Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Erweiterung des Lichtbildschutzes geführt haben, so kann jedenfalls auf ein Mindestmaß an – zwar nicht schöpferischer, aber doch – persönlicher geistiger Leistung nicht verzichtet werden.
Das Landgericht Berlin war auch tatsächlich bereit diesen Rechtsgrundsatz anzuerkennen, der durch den BGH 1989 im Bibelreproduktionsurteil und dann nochmals 2000 im Telefonkartenurteil formuliert wurde. Leider sah das Gericht einen erheblichen qualitativen Unterschied zwischen Grafiken oder Drucken und Gemälden:
Danach reichte dort [Anm. im Telefonkartenurteil] die technische Reproduktion einer bestehenden Grafik (eine solche war jedenfalls das Original der Vorlage, die letztlich für die Telefonkarte der Klägerin verwendet worden ist) nicht aus, das Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung zu für den Lichtbildschutz erfüllen. Eine Schlussfolgerung, dies auch auf die Reproduktion von Gemälden zu übertragen, ist in dieser Allgemeinheit jedoch nicht zulässig:
In dem BGH-Fall ging es um eine einfache, schwarz-weiße-Graphik, die wiederum nur als Grundmotiv einer relativ kleinen Telefonkarte zu übertragen war. Hier geht es dagegen um farbige, detailreiche Gemälde mit differenzierten Schattierungen, die für den Druck in einer Museumspublikation so detailgetreu wie möglich zu fotografieren waren. Gerade die damit verbundene aufwendige handwerklich-technische Leistung ist durch den Lichtbilderschutz zu schützen.
Zwei- oder Dreidimensional? egal
Das alleine wäre eine traurige aber noch verständliche Entscheidung. Bemerkenswert ist, dass das Gericht nicht wie (meinem Eindruck nach) die juristische Mehrheitsmeinung von einem Unterschied zwischen zweidimensionalen und dreidimensionalen Reproduktionen ausgeht:
Es kommt an dieser Stelle daher nicht auf den Streit an, ob die Gemälde als Vorlage der streitgegenständlichen Fotografien zweidimensonal sind und ob zweidimensionale Vorlagen anders als dreidimensionale zu behandeln sind. Die Frage, ob ein Gemälde zwei- oder dreidimensional ist, kann grundsätzlich nur im Einzelfall unter Betrachtung des Originals beantwortet werden […]
Wie Praxis-fremd eine solche Abwägung im Einzelfall ist, erkennt das Gericht wenig später lustigerweise selbst an:
[…] bei einem Abstellen auf Zweidimensionalität käme es aus den bereits genannten Gründen ferner auf die Dicke des Farbauftrags an, so dass die Schutzfähigkeit erst nach Abgleich mit dem Original sicher festzustellen wäre, was kaum praktikabel ist, […]
Ich würde das Gericht an dieser Stelle bitten, einmal eine repräsentative Umfrage durchzuführen und 8.000 Menschen zu fragen, ob ein Ölgemälde ein zweidimensionales Werk ist. Dann würden sich die Missverständnisse klären. Die Abgrenzung zwischen zwei- und dreidimensionalen Werken war ein noch realtiv Laien-verständliches Kriterium. Jeder kann unterscheiden, ob auf einem Foto eine Statue oder eine Buchseite abgebildet ist. Wie viel Arbeit in eine Reproduktion gesteckt wurde, sieht man dem Foto jedoch nicht an. Das Gericht erklärt alleine mit diesem Entscheidungsgrund Millionen von Fotos im Internet für nicht mehr nutzbar. Einfach, weil für einen nutzungswilligen User nicht mehr erkennbar ist, ob ein Foto unter Lichtbildschutz steht.
Teleologische Auslegung
Das für mich juristische Hauptargument der Wikimedia-Foundation hat das Gericht ebenfalls nicht anerkannt: Durch die Praxis des Reiss-Engelhorn-Museums wird §64 UrhG praktisch umgangen und gegen den Willen des Gesetzgebers gehandelt. §64 UrhG sieht vor, dass das Urheberrecht an Werken nur eine bestimmte Zeit, nämlich 70 Jahre gelten soll. Dies hat der Gesetzgeber verfügt, damit Werke der Kultur nicht über einen gewissen Zeitraum hinaus monopolisierbar sind. Die Rechte, die aus dem Urheberrecht erwachsen, sollen ab diesem Punkt jedem zur Verfügung stehen: Ein Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten, auszustellen und öffentlich zugänglich zu machen.
Das Reiss-Engelhorn-Museum verhindert nun aber über ein Fotografie-Verbot in seinen Räumlichkeiten, dass diese Rechte konkret ausgeübt werden können. Und indem es eigene (quasi-)Vervielfältigungen des Bilds mit Lichtbildschutz erstellt und vermarktet, hat das Reiss-Engelhorn-Museum genau die Rechte wieder monopolisiert, die eigentlich der Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollten. Das Gericht sah das leider anders:
Für die Frage einer teleologischen Reduktion kommt es nach Ansicht der Kammer nicht darauf an, wie die Klägerin ihr Fotoverbot praktiziert, denn selbst bei strenger Durchsetzung wäre dies kein Kriterium für eine beschränkende Auslegung einer Norm. Mit der teleologischen Reduktion werden Sachverhalte, die nach dem Wortlaut der Norm an sich erfasst würden, von der Anwendung der Norm ausgeschlossen, weil sie der Zielsetzung des Gesetzes widersprechen. Nach der Ansicht der Beklagten wäre der abstrakte Sachverhalt dann konsequenterweise so zu fassen, dass des keinen Lichtbildschutz für Fotos gibt, die eine 1:1-Reproduktion eines zweidimensionalen und gemeinfreien Werkes sind, falls diese Werke im Bestand eines Museums sind, dessen Hausordnung den Besuchern das Fotografieren verbietet. […]
Diese Auslegung der Position der Wikimedia verkennt den Kern der Argumentation in so hohem Maße, dass ich mich frage, ob das Gericht das Argument überhaupt verstanden hat. Die abstrakte Norm, die der Wikimedia hier vorschwebt wäre viel mehr etwa so zu fassen:
Es gibt keinen Lichtbildschutz für Fotos, die eine 1:1 Reproduktion eines gemeinfreien Werkes sind, falls diese Werke im Bestand eines Museums sind, die erkennbar durch gezielte Maßnahmen verhindert, dass die Rechte, die der Allgemeinheit aus §64 UrhG an diesem gemeinfreien Werk erwachsen, auch tatsächlich ausgeübt werden können.
Scans als geschützte Lichtbilder?
Die gefährlichste Passage in dem Urteil findet sich jedoch gegen Ende:
Es muss schließlich aus heutiger Sicht nicht überzeugen, eine technische Reproduktion mittels Scanner, die einen vergleichbaren technischen Aufwand erfordern und zu besseren Widergabeergebnissen führen kann, nicht ensprechend einem Lichtbild zu schützen. […]
[…] Der Umstand, dass es offenbar über alle Reformbemühungen hinweg der Wille des Gesetzgebers geblieben ist, das Leistungsergebnis der einfachen Fotografie als Lichtbild zu schützen, lässt eher den Gedanken zu, §72 UrhG entsprechend auf Abbildungen anzuwenden, die auf vergleichbare Weise (wie mit dem von den Beklagten angeführten aufwendigen Scan) entstanden sind, was aber nicht hier zu entscheiden ist. […]
Nach dem Vorschlag des Landgerichts sollen zukünftig also Scans als Lichtbilder geschützt sein. Diese Radikalposition erweitert den Lichtbildschutz so weit, dass nun überhaupt keine Werk-Reproduktionen mehr eindeutig gemeinfrei sind. Damit ist die tatsächliche Nutzbarkeit gemeinfreier Werke in der Praxis aufgehoben. Niemand kann unterscheiden, wann ein Scan aufwendig war und wann nicht. Insofern kann niemand mehr irgendwelche Reproduktionen von gemeinfreien Werken nutzen, ohne vorher den Ersteller zu kontaktieren und die Rechte mit ihm abzuklären.
Für die Internetkultur, in der solche Kommunikation nicht vorgesehen, ja im Normalfall auch gar nicht möglich ist, ist das eine Katastrophe. Aber genau das war wohl die Intention des Gerichts.
Update 30.06.2016
Das Reiss-Engelhorn-Museum hat in seiner Pressemeldung einmal mehr seine totale rechtliche Ahnungslosigkeit bewiesen. Schon im Teaser zur Pressemeldung heißt es:
Stellt ein Autor der Wikipedia solche Fotografien unerlaubt in die Mediendatenbank Wikimedia Commons, die mit der Wikipedia verknüpft ist, haftet die Wikimedia Foundation Inc. für diese Urheberrechtsverletzung als Störer.
Das ist faktisch falsch. Gemäß §10 TMG haften Portal-Betreiber für rechtswidrige Inhalte erst ab Kenntnisnahme. Das ist ein unbestrittener Rechtssatz, der aus dem Gesetz hervor geht und schon von zahllosen Gerichten bestätigt worden ist. So auch in dem Urteil des LG Berlin, das in dieser Pressemeldung eigentlich zusammengefasst werden soll ( ! ) :
Die Beklagte zu 1. haftet jedenfalls als Störerin. Sie hat die Fotos unstreitig nicht selbst eingestellt. Sie ist aber Betreiberin beider Webseiten und hat nach Kenntnis von den Verstößen nichts veranlasst, die Rechtsverletzung zu beenden, sondern diese bewusst beibehalten.
Wikimedia haftet nach dem Urteil des LG Berlin also nur als Störerin, weil sie gegen die streitgegenständlichen Bilder nach Kenntnisnahme nicht von der Plattform entfernt hat.