EU Urheberrechtsreform – Angriff auf das Netz

In mehreren Entwürfen hat die EU-Kommission heute ihre Pläne zur EU Urheberrechtsreform vorgelegt. Die Vorschläge lösen im Urheberrecht wenige grundsätzliche Probleme, schaffen aber viele neue: Insbesondere das Leistungsschutzrecht für Presseverleger steht bereits jetzt massiv in der Kritik.

Gebäude des Europaparlaments in Straßbourg

EU Parlament in Straßburg (Frankreich) Foto von Frank Margo CC-BY 2.0

Nun ist sie da, die EU-Urheberrechtsreform. In mehreren Entwürfen hat die EU-Kommission ihre Vorschläge unterbreitet. Viel war im Vorfeld von dieser Reform erwartet worden: Nicht wenige hofften das Urheberrecht würde endlich an die soziale (und digitale) Realität des 21. Jahrhunderts angepasst. Schon im letzten Jahr zeichnete sich allerdings ab, dass keines der wirklich grundlegenden Probleme angegangen wurde. Was wir nun vor uns haben, sind Regelungen, die das freie Internet weiter beschränken werden. Die Vorschläge schaffen viele neue Baustellen: Zusätzliche Schranken, aufwendige bürokratische Verfahren und Rechtsunklarheiten.

Aus der Netzgmeinde und von den üblichen Urheberrechts- und Law-Blogs hagelte es sofort Kritik: die Piratenpartei-Abgeordnete Julia Reda, der Branchenverband der Digitalwirtschaft Bitkom, der Urheber- und Medienrechtsblog irights und heise kritisierten die Pläne scharf.

Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Im Kern der Kritik steht das sicherlich gut gemeinte neue Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Journalistische Angebote erhalten nach Vorstellung des EU Kommissars Günther Oettinger zukünftig ein 20 Jahre andauerndes Leistungsschutzrecht. Das allein hört sich sinnvoll an. (Ist aber eigentlich unnötig, weil solche Inhalte auch nach bestehender Rechtslage bereits urheberrechtlich geschützt sind.) Das Problem: Google und andere Suchmaschinen sollen den Presse-Verlegern auch dann Lizenzen bezahlen, wenn sie lediglich kurze Snippets der Artikel in ihren Such-Ergebnissen anzeigen. Gleiches soll nach einem Interview Oettingers in der FAZ auch gelten, wenn Facebook oder andere kommerzielle Websites Presseangebote verlinken und dabei Text-Snippets und Bilder anzeigen.

Oettinger behauptet im Interview, dass diese Regelungen nicht für Privatnutzer gelten, die etwa links auf ihren Facebook-Profilen teilen. Das ist sehr fraglich. Denn nach momentaner Rechtslage unterscheidet das Urheberrecht von sich aus nicht zwischen kommerziell und nicht-kommerziell veröffentlichten Inhalten. Das jüngste Urteil zur Linkhaftung des EuGH schien in eine solche Richtung zu argumentieren. Eine klare gesetzliche Regelung, die im Urheberrecht zwischen kommerziellen und nicht-kommerziellen Inhalten unterscheidet, liegt bis jetzt jedoch nicht vor. (Obwohl eine solche Regel sehr sinnvoll wäre) Und wie Julia Reda mit Recht anmerkt, ist im bisherigen Entwurf auch nicht geplant eine solche einzuführen.

Doch nehmen wir einmal an, Oettinger hätte Recht, und private Facebook-Nutzer wären von der Regelung nicht betroffen. Sie wäre dennoch eine Katastrophe.

Schwammig – aufwendig – realitätsfern

Das Netz lebt davon, dass Webseiten sich gegenseitig verlinken können. Dabei ist es in den letzten Jahren zum Standard geworden, dass dabei Teaser und Bild des verlinkten Artikels mit angezeigt werden. Das Content Management System WordPress (mit dem auch dieser Blog betrieben wird) zieht seit der Version 4.5 automatisiert Teaser und Bild, wenn ein anderer WordPress-blog verlinkt wird. Die Gründe liegen auf der Hand: Schon in den frühen 2000ern haben Studien ergeben, dass Links mit Teaser und Bild häufiger angeklickt werden. So profitieren alle Beteiligten: Der User kann sich einen besseren Überblick verschaffen, was für ein Artikel dort verlinkt ist, der Betreiber der verlinkenden Website bietet mehr Informationen für seine User und der Betreiber der verlinkten Website bekommt mehr und besseren Traffic.

Diese Praxis wird durch die geplanten Gesetzen jetzt unterbunden. Niemand wird mehr Links setzen, wenn er dazu vorher eine Lizenz einholen muss. Und dabei spielt es keine Rolle wie hoch oder niedrig der entsprechende Preis wäre. Der Verwaltungsaufwand ist schlicht zu hoch. Bevor irgendein Seitenbetreiber einen Links setzt, müsste er Kontakt zum Betreiber der verlinkten Seite aufnehmen. Der Betreiber der verlinkten Seite müsste ihm antworten. Dieser muss mit der Verlinkung einverstanden sein. Beide müssen sich über den Preis einigen. Und schließlich muss der Preis auch noch gezahlt werden. Ich selbst habe in diesem Artikel bisher 7 andere Webseiten verlinkt. Hätte ich für jeden Link dieses Prozedere absolvieren müssen, hätte das insgesamt wesentlich mehr Zeit in Anspruch genomen als diesen Artikel zu schreiben. Die Hauptaufgabe von Journalisten und Bloggern würde es also zukünftig Link-Rechte zu klären. Die Erstellung von Texten und Bildern würde nur noch einen geringen Bruchteil ihrer Arbeitszeit ausmachen.

Google und Facebook jubilieren

Wer meine verschiedenen Beiträge in der Vergangenheit verfolgt hat, weiß, dass ich bei weitem kein Freund von Google bin. Die Regelungen, die die EU-Kommission hier vorlegt sind jedoch realitätsfern. Google kann selbstverständlich nicht jeden Artikel vergüten, den sie in ihrem Index vorhalten und über die Suchmaschine zugänglich machen. Im Gegenteil würde das Gesetz dazu führen, dass viele journalistische Inhalte aus der Google-Suchmaschine verschwinden, und damit für den Großteil der Internet-User nicht mehr zugänglich sind. Wie irights sehr treffend analysiert hat, wird diese Entwicklung großen Medienhäusern helfen und kleine Mediendienste und Blogger benachteiligen. Gerade Websites, die noch keine große Leserschaft haben, profitieren momentan davon, dass ihre Artikel über Google aufgefunden werden.

Schlimmer noch: Das neue Leistungsschutzrecht hat das Potential die Monopole von Google und Facebook noch zu festigen. Kleinere Suchmaschinen oder Soziale Netzwerke können sich die Kosten für Verlinkungen nämlich noch viel weniger leisten, als die etablierten Player. Die EU-Urheberrechtsreform schützt die Monopolisten also noch weiter gegen neue Wettbewerber.

Wer denkt an Blogger?

Am härtesten getroffen werden durch die Regeln erneut Hobby-mäßige oder semi-professionelle Blogger. Ihr Status als „kommerziell“ oder „nicht kommerziell“ ist meistens unklar. Selbst wenn Oettinger also eine Regelung zum Schutz von „privaten“ Usern einführen würde: Die Blogger könnten sie nicht in Anspruch nehmen. Kein Blogger kann sich sicher sein als „Privater User“ zu gelten. Deshalb wird es auch kein Blogger riskieren, potentielle Urheberrechtsverstöße zu begehen.

Wie weiter oben erwähnt zieht WordPress übrigens automatisiert Teaser und Bild bei einer Verlinkung. Der Blogger selbst hat darauf keinen Einfluss und weiß häufig nicht, wie er das überhaupt verhindern kann.

EU Urheberrechtsreform: die Risiken und Nebenwirkungen

Die Kritik am Leistungsschutzrecht für Presseverleger hat die anderen Aspekte der EU Urheberrechtsreform fast überlagert. Es gibt jedoch noch weitere Probleme: Beispielsweise werden Host-Provider zukünftig gezwungen spezielle Software bereit zu stellen, um hoch geladenes Material sofort auf Urheberrechtsverstöße zu prüfen. Damit wird das Provider Privileg untergraben. Der Branchenverband Bitkom wies außerdem auf folgenden Umstand hin: Wenn explizit gesetzlich fest gelegt wird, dass Data-Mining durch Wissenschaftsinstitutionen erlaubt wird, dann heißt das im Umkehrschluss, dass jeder andere dieses Verfahren nicht anwenden darf. Durch systematische Auswertung von frei zugänglichen Daten im Internet haben besonders viele Startups bisher ihr Geschäftsmodell entwickelt. Sehr viel Kritik richtete sich auch an Themen, die entweder gar nicht angegangen oder nur unzureichend geregelt wurden.

Fazit

Mit der jetzigen EU Urheberrechtsreform hat die EU Kommission es versäumt das Urheberrecht an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Stattdessen hat sie mit dem Leistungsschutzrecht für Presseverleger ein realitätsfremdes Rechtskonstrukt geschaffen, dass in der Praxis vielen Haupt- und Nebenberuflichen Medienschaffenden das Leben schwer machen wird. Heute war ein schlechter Tag für das Internet.

 

 

EuGH schränkt Linkfreiheit ein

In einem neuen Urteil hat der EuGH die Linkfreiheit erheblich eingeschränkt. Unter bestimmten Umständen haften Webseiten-Betreiber nun für verlinkte Inhalte. Die Entscheidung ist Praxis-fern, argumentiert in einem Punkt jedoch überraschend progressiv.

In einem Urteil vom Donnerstag (08.09.2016) traf der Europäische Gerichtshof (EuGH) eine Grundsatzenscheidung: Kommerzielle Webseiten-Betreiber können selbst gegen das Urheberrecht verstoßen, wenn sie urheberrechtswidrige Inhalte auf anderen Websites nur verlinken. Das Gericht erkannte zwar grundsätzlich an, dass Links als Kulturpraxis grundlegend wichtig für die Meinungsbildung und Meinungsäußerung im Internet sind:

Insoweit ist festzustellen, dass das Internet für die durch Art. 11 der Charta gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit tatsächlich von besonderer Bedeutung ist und dass Hyperlinks zu seinem guten Funktionieren und zum Meinungs? und Informationsaustausch in diesem Netz beitragen, das sich durch die Verfügbarkeit immenser Informationsmengen auszeichnet.

Jedoch sei es einem gewerblichen Diensteanbieter zuzumuten Urheberrechtsverstöße an einem verlinkten Inhalt festzustellen:

Im Übrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde.

Die Argumentationslogik in der Urteilsbegründung ist leider nur schwer nachvollziehbar.

Link = Öffentliche Zugänglichmachung?

Juristisch stellte sich in dem Prozess die Frage, ob eine Verlinkung eine Öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist.

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29

(1) Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

Im konkreten Fall hatte eine Journalistische Website einen Link auf einen Ordner bei Filefactory gesetzt. User konnten dort Bilder herunter laden, die ohne Erlaubnis des Urhebers oder Rechteinhabers dort hoch geladen wurden. Die Argumentation in der Urteilsbegründung ist jedoch grundsätzlich auch auf andere Fälle anwendbar: Ob ein Bild, Video, Audiowerk oder eine Textdatei in einem Upload-Service zum Download angeboten wird, oder ob es „normal“ auf einer redaktionellen Seite eingebunden wird, spielt urheberrechtlich keine Rolle. Beides ist eine „Öffentliche Zugänglichmachung“.

Verlinken = Uploaden?

Für einen nicht-Juristen ist das nur ausgesprochen schwer nachvollziehbar. Immerhin wird durch einen Link rein technisch nichts veröffentlicht. Ein Link verweist lediglich auf einen Inhalt, der bereits öffentlich zugänglich ist. Wenn ein User ein Bild im Internet hoch lädt und ein anderer lediglich darauf verlinkt, sollen beide die gleiche urheberrechtliche Handlung durchführen? (Öffentliche Zugänglichmachung).

Nach etabliertem Konsens in der Rechtswissenschaft liegt eine Öffentliche Zugänglichmachung jedoch auch dann vor, wenn ein Inhalt für ein neues Zielpublikum zugänglich wird. Nach juristischer Logik (nicht nach gesundem Menschenverstand) ist es also nicht vollkommen abwegig, dass ein Link als Öffentliche Zugänglichmachung betrachtet werden kann.

Auch unter Juristen gibt es jedoch (mit Recht) auch Gegenstimmen. Thomas Stadler fände es zum Beispiel sinnvoller einen Linksetzer auf urherrechtswidrige Inhalte als Mittäter oder Teilnehmer der fremden Urheberrechtsverletzung zu betrachten.

Können nur gewerbliche Webseiten etwas öffentlich wiedergeben?

Mit seiner Entscheidung hat der EuGH erstmalig einen Rechtsargumentation etabliert, die bei aller berechtigten Kritik am Gesamturteil sehr sinnvoll ist: Er hat zwischen gewerblichen und nicht gewerblichen Internet-Nutzern unterschieden. Für die Frage: „Liegt eine Öffentliche Zugänglichmachung vor?“ war es bisher völlig irrelevant, wer ein Werk zu welchem Zweck veröffentlicht hat. Für einen 14 Jährigen, der Bilder in seinem Facebook-Feed postete, galten unstrittig die gleichen urheberrechtlichen Bestimmungen wie für die Redaktion der Süddeutschen oder der FAZ.

Die letzte Reform des Urheberrechts fand 2007 statt. Damals bestand das Netz noch weitgehend aus Webangeboten von großen Verlagen, Medienunternehmen und semi-professionellen Publizisten. Ein Nutzer hatte kaum Möglichkeiten selbst Inhalte zu veröffentlichen. Nach dem Aufstieg der Sozialen Medien ist es hingegen der Normalfall, dass wir alle ständig Bilder, Texte und Videos veröffentlichen. Es wurde daher Zeit, dass die urheberrechtlichen Begriffe an diese Entwicklung angepasst werden. Wer etwas bei Facebook postet geht heute nicht zwingend davon aus, dass diese Inhalte öffentlich sind. Solche Posts können zwar theoretisch eine riesige Reichweite erreichen, tun es aber tatsächlich nur in den wenigsten Fällen.

Auch Leonhard Dornbusch sieht in seinem Artikel zum Urteil auf Netzpolitik erhebliches Potential für die Unterscheidung zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Usern. Verbreitete Kulturtechniken wie Mashups, Remixes, Memes, Fanart, Fanfiction, Resynchronisierte Filmszenen, Youtube-Compilations und Memes könnten über diese Unterscheidung entkriminalisiert werden.

Unterscheidet man jedoch zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Dienstanbietern, ergibt sich gleich das nächste Problem:

Wer ist kommerziell?

Gerade für kleine Blogger, Youtuber, Podcaster, Social Media Influencer oder Selfpublisher ist die Frage „mache ich das hier kommerziell“ oft alles andere als einfach. Hauptberuflich betreiben die allerwenigsten diese Plattformen. Doch nicht selten verdienen kleine Kreative oder Web-Schaffende durch ihr Hobby entweder kleine Beträge hinzu oder machen Werbung für ihre eigentliche berufliche Arbeit. Ab wann beginnt die kommerzielle Tätigkeit?

Die Abgrenzung hat sich hier bereits im Falle der CC-BY-NC Lizenzen als schwierig erwiesen. Werke unter dieser Lizenz dürfen nach den Lizenzbestimmungen nur von „nicht kommerziellen“ Nutzern genutzt werden. Das war schon Thema für viele Blogartikel und auch schon Gegenstand von Gerichtsverfahren. Das Problem ist: Gerade Privat-Nutzer haben oftmals nicht die finanziellen Möglichkeiten, um Rechtsstreitigkeiten zu führen und Grundsatzurteile zu erreichen. Große Rechte-Verwerter wie Verlage, Plattenfirmen etc. haben deshalb bisher die Interpretationshoheit darüber was „nicht kommerziell“ bedeutet, weil niemand andere Rechtsansichten durchsetzt.

Sollte die Unterscheidung zwischen kommerziell und nicht kommerziell sich in der Rechtsprechung etablieren, eventuell auch über die Frage der Linkhaftung hinaus, würden sich bald die gleichen Probleme wie bei der CC-BY-NC Lizenz stellen.

Wann sind Urheberrechtsverstöße erkennbar?

Der EuGH hat also korrekterweise angenommen, dass zwischen kommerziellen und nicht kommerziellen Web-Angeboten unterschieden werden muss. Er hat (meiner Meinung nach ebenfalls zutreffend) fest gestellt, dass an kommerzielle Anbieter grundsätzlich höhere Anforderungen gestellt werden können. Und er hat auch korrekt heraus gearbeitet, dass es für einen privaten Internet-Nutzer schwierig bis unmöglich ist, Linksetzungen auf Urheberrechtsverletzungen zu vermeiden:

Darüber hinaus kann es sich insbesondere für Einzelpersonen, die solche Links setzen wollen, als schwierig erweisen, zu überprüfen, ob die Website, zu der diese Links führen sollen, Zugang zu geschützten Werken geben, und gegebenenfalls, ob die Inhaber der Urheberrechte an diesen Werken deren Veröffentlichung im Internet erlaubt haben. Dies ist erst recht dann schwer zu ermitteln, wenn für diese Rechte Unterlizenzen erteilt worden sind. Ferner kann der Inhalt einer Website, zu der ein Hyperlink Zugang gibt, nach der Platzierung des Links unter Aufnahme geschützter Werke geändert werden, ohne dass sich derjenige, der den Link geschaffen hat, dessen notwendig bewusst sein muss.

Leider war der EuGH der Ansicht, dass dies für kommerzielle Anbieter nicht der Fall sei. Diesen könne zugemutet werden, eine Urheberrechtsverletzung zu erkennen:

Im Übrigen kann, wenn Hyperlinks mit Gewinnerzielungsabsicht gesetzt werden, von demjenigen, der sie gesetzt hat, erwartet werden, dass er die erforderlichen Nachprüfungen vornimmt, um sich zu vergewissern, dass das betroffene Werk auf der Website, zu der die Hyperlinks führen, nicht unbefugt veröffentlicht wurde, so dass zu vermuten ist, dass ein solches Setzen von Hyperlinks in voller Kenntnis der Geschütztheit des Werks und der etwaig fehlenden Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber zu seiner Veröffentlichung im Internet vorgenommen wurde. Unter solchen Umständen stellt daher, sofern diese widerlegliche Vermutung nicht entkräftet wird, die Handlung, die im Setzen eines Hyperlinks zu einem unbefugt im Internet veröffentlichten Werk besteht, eine „öffentliche Wiedergabe“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar.

Diese Einschätzung ist weltfremd.

Kommerzielle Web-Anbieter können nicht zaubern

Wie soll ein Online-Journalist, Content-Marketer, kommerzieller Blogger oder Betreiber einer Unternehmens-Website erkennen können, ob ein Werk ohne Zustimmung des Urhebers auf einer Website hoch geladen wurde? Durch welche Nachprüfungen soll er sich dessen vergewissern können? Niemand ist verpflichtet ein Werk als urheberrechtlich geschützt zu kennzeichnen. Und auch der Name des Urhebers muss nicht am Werk angegeben werden. Wie soll ein kommerzieller Webmaster vor einer Verlinkung herausfinden, ob Text, Bild, Video oder Audiodatei mit Einwilligung des jeweiligen Urhebers veröffentlicht wurde?

Muss er herausfinden, ob das betreffende Werk an anderer Stelle im Internet zu finden ist? Das wäre machbar, hilft aber nicht weiter: Taucht das Werk nicht an anderer Stelle auf, ist damit nicht ausgeschlossen, dass es gegen den Willen des Urhebers veröffentlicht wurde. Und selbst wenn es an anderer Stelle mit anderer Urheberbezeichnung auftaucht, ist immer noch nicht klar, wer von beiden das Werk von wem übernommen hat.

Muss der Redakteur den Webmaster der verlinkten Seite kontaktieren und befragen? [Wer so etwas vorschlägt kennt offenbar den Arbeitsalltag und den Zeitdruck in einer Online-Redaktion nicht] Selbst wenn wir den unwahrscheinlichen Fall annehmen, dass er den Webmaster rechtzeitig erreichen kann und der ihm Auskunft erteilt: Wird ein Urheberrechtsverletzer zugeben, dass er Werke urheberrechtswidrig öffentlich vorhält?

Wie irgendein kommerzieller Webdienst-Betreiber die Anforderungen erfüllen soll, die der EuGH hier stellt ist mir völlig schleierhaft. Mit dem Urteil hat der EuGH kommerziell betriebenen Web-Diensten de facto verboten Links zu setzen.

Glücklicherweise werden die Internet-Nutzer mit diesem Urteil genauso wie mit jeder anderen weltfremden Rechtsbestimmung umgehen: Sie werden sie einfach ignorieren.

 

Kostenlose Bilddatenbanken: Was ist rechtlich zu beachten?

Kostenlose Bilddatenbanken sind für Blogger ein Segen, denn ein Blogartikel ohne Bilder wird es im Jahr 2016 sehr schwer haben Aufmerksamkeit bei den Lesern zu finden: Facebook-Posts mit Bildern haben eine 94% höhere Engagement Rate. Bilder haben einen wesentlichen Einfluss auf SEO. Balthas Seibold konnte bereits 2002 nachweisen, dass Artikel-Teaser mit Bildern auf News-Seiten 3 mal so häufig angeklickt werden. Und wer diese ganzen Statistiken nicht durchlesen will, kann sich einfach fragen: „Wann habe ich selbst das letzte Mal einen Artikel ohne Teaserbild gelesen?“

Bilder sind für Blogger eine Notwendigkeit. An passende Bilder zu kommen kann sich jedoch als schwierig erweisen. Wer nicht gerade selbst Fotograf ist, verfügt oft nicht über das nötige Know-How oder Equipement, um hochwertige Fotos selbst zu erstellen. Je nach Thema des Artikels finden sich passende Motive nicht an jeder Straßenecke. Und schließlich sind gerade für private Blogger auch Zeit und Geld ein entscheidender Faktor. Glücklicherweise gibt es heute Plattformen, auf denen private und professionelle Fotografen und Designer ihre Werke kostenlos anbieten. Ich habe eine Liste von kostenlosen Bilddatenbanken zusammen gestellt. (hier gehts zur Liste) Bevor man kostenlose Bilddatenbanken nutzt, sollte man jedoch ein bisschen über die Rechtslage Bescheid wissen. Deswegen hier einige Erläuterungen:

Lizenzbedingungen

Ein Bild ist wie jedes andere Werk urheberrechtlich geschützt. [Wem das nicht klar ist, der lese bitte hier meine Einführung ins Urheberrecht]. Bilder unterliegen entweder als Lichtbildwerke (§2 UrhG) oder als Lichtbilder (§72 UrhG) dem Urheberrecht. Das bedeutet, dass sie nur mit einer ausdrücklichen Lizenz (=Erlaubnis) des Urhebers oder Rechteinhabers weiter veröffentlicht werden dürfen.(§15, §31 UrhG) Mit dem Upload auf einer Gratis-Bilder Seite räumen Fotografen und Grafiker eine solche Lizenz an die Nachnutzer ein. Es empfiehlt sich jedoch die AGB einer Bilddatenbank-Website genau zu studieren, bevor man Bilder von dort für die eigene Website verwendet.

Wer haftet für Verstöße?

Wer ein Bild auf einer Website oder einem Social Media-Profil hochlädt, und es damit öffentlich zugänglich macht, haftet selbst für alle Rechtsverstöße. Die Bilddatenbanken haften nämlich nicht. Davor schützt sie das Providerprivileg im Telemediengesetz:

§ 10 TMG Speicherung von Informationen

Diensteanbieter sind für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern

1.sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben und ihnen im Falle von Schadensersatzansprüchen auch keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, oder

2.sie unverzüglich tätig geworden sind, um die Information zu entfernen oder den Zugang zu ihr zu sperren, sobald sie diese Kenntnis erlangt haben.

Und auch für Rechtsverstöße, von denen der Blogger selbst nichts wissen konnte, haftet er.

Beispiel: Ein User lädt bei einer Gratis-Bild-Datenbank fremde Fotos von einem anderen Fotografen unberechtigt hoch. Ein Blogger nimmt von dort die Bilder und veröffentlicht sie auf seinem Blog. Der Blogger hat zwar „im guten Glauben“ gehandelt. Dennoch haftet er im Zweifelsfall für den Urheberrechtsverstoß. Er kann den ursprünglichen Uploader allenfalls im Nachhinein in Regress nehmen (sofern er ihn finden kann). Es ist also Vorsicht geboten. Eine 100% rechtliche Sicherheit bei der Verwendung von Fotos garantieren Gratis-Bild-Datenbanken nicht.

Man kann das Risiko einem Bildfälscher in die Falle zu gehen jedoch minimieren, indem man beispielsweise das Profil des Fotografen auf Schlüssigkeit und Vollständigkeit prüft. (Ist der Urheber ein professioneller Fotograf, dessen Anschrift und Kontaktdaten ich sehen kann. Hat er schon andere Fotos des gleichen Motivs veröffentlicht.) Darüber hinaus kann man das Foto über die Google-image-reverse Suche überprüfen. Ist das gleiche Foto bereits mit anderen Urheber-Angaben an anderer Stelle im Netz veröffentlicht, sollte man die Finger von dem Bild lassen.

Deutsche Rechtslage vs. US-Rechtslage

Die meisten kostenlosen Datenbanken werden von den USA aus betrieben. Bevor man Bildmaterial von dort verwendet, empfiehlt es sich zu prüfen, weshalb diese Bilder dort kostenlos angeboten werden. Einige Sonderregelungen des amerikanischen Copyrights kennt das deutsche Urheberrecht nämlich nicht. US-Künstler dürfen beispielsweise auf ihr Copyright an einem Werk verzichten, womit es automatisch in die Public Domain übergeht. In Deutschland darf ein Urheber nicht auf sein Urheberrecht verzichten. In den USA gehen Werke, die von US-Regierungsangestellten im Rahmen ihres Dienstes angefertigt wurden, automatisch in die Public Domain über. Nach deutschem Urheberrecht sind diese Werke nicht gemeinfrei. Nach amerikanischem Urheberrecht sind Detail-genaue Reproduktionen von zwei-dimensionalen Werken in der Public Domain selbst in der Public Domain (zB. Fotos von klassischen Gemälden). In Deutschland ist das seit einem desaströsen Urteil des LG Berlin nicht mehr so. Schließlich gelten in den USA viele Sonder- und Übergangsregelungen für Werke, die vor 1989 entstanden sind. Oftmals sind diese Werke in der Public Domain, wenn sie nicht korrekt beim Copyright Office angemeldet oder das Copyright nicht verlängert wurde. Auch solche Werke sind in Deutschland nicht gemeinfrei.

Am sichersten ist es daher Bilder von US-Quellen nur zu verwenden, wenn sie unter eindeutigen und nachvollziehbaren Lizenzen wie den Creative Commons Lizenzen oder CC0 stehen.

Creative Commons-Lizenzen

Creative Commons Lizenzen sind ein rechtliches Tool, das Künstlern erlaubt ihre Werke für die Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Wer noch nicht weiß, wie Creative Commons-Lizenzen funktionieren, findet hier einen hervorragenden Einführungsartikel von Thomas Schwenke. Wichtig zu beachten ist: Wer Bilder unter Creative Commons Lizenzen verwendet, der muss auch alle Bedingungen erfüllen, die in der jeweiligen Creative Commons Lizenz vermerkt sind. Das heißt Bilder mit dem Lizenzkürzel ND dürfen nicht verändert werden. SA gekennzeichnete Bilder dürfen bearbeitet nur unter der gleichen Lizenz veröffentlicht werden. Und Bilder mit dem Lizenzkürzel „NC“ (non commercial) dürfen nicht für kommerzielle Projekte benutzt werden.

Ab wann ist ein Projekt kommerziell? Das ist eine im Einzelfall schwierige Frage, der Klaus Graf in diesem Artikel nachgeht.

Bei Verwendung von Creative Commons Lizenzen ist deshalb Vorsicht geboten. Gerade in letzter Zeit häufen sich Fälle von Abmahnungen wegen falsch attributierten Werken unter Creative Commons Lizenz. (Berichte bei irights, Netzpolitik, NexlevelSEO, Rechtsanwalt Markus Kompa) Es gibt aber zum Glück auch eine gute Nachricht. In einem Urteil stellte das OLG Köln vor kurzem fest, dass Werke, die unter Creative Commons-Lizenzen gestellt wurden, keinen wirtschaftlichen Wert mehr haben. Deswegen betrage der Schadenersatz bei der widerrechtlichen Nutzung solcher Bilder auch nur 0 Euro. (Ein Unterlassungsanspruch besteht jedoch trotzdem, weswegen ein Blogger im Ernstfall die Abmahnungs- und/oder Gerichtskosten zu tragen hätte)

Bilder unter Creative Commons Lizenzen dürfen eigentlich nicht in Sozialen Netzwerken wie etwa Facebook/Twitter/Youtube etc. gepostet werden. Denn mit dem Post räumt man dem Netzwerk automatisch bestimmte Recht an den Bildern ein. Die Creative Commons Lizenz gestattet es jedoch nicht, Dritten Recht an den Werken einzuräumen. Ein Gerichtsurteil liegt zu dem Sachverhalt jedoch meines Wissens noch nicht vor.

CC0 Lizenz

Die CC0-Lizenz ermöglicht es Künstlern ihre Werke ohne irgendwelche Beschränkungen zu veröffentlichen. Bilder unter CC0 dürfen ohne Bedingungen von jedem genutzt werden, als wären sie gemeinfrei. CC0 Bilder dürfen nach Meinung von Creative Commons auch problemlos in Sozialen Netzwerken geteilt werden.

Sonstige Rechtsprobleme:

Freie Lizenzen wie CC0 oder die Creative Commons Lizenzen betreffen nur das Urheberrecht und zwar nur das Urheberrecht an den Bildern. Markenrechte oder Persönlichkeitsrechte räumen kostenlose Bilddatenbanken in der Regel nicht ein. Wenn also erkennbare Personen oder Markenlogos auf den Bildern zu sehen sind, liegt es in der Verantwortung des Bloggers zu prüfen, ob er die Fotos legal verwenden darf. (Hier sind Einführungen zum „Recht am eigenen Bild“ und zum „Markenrecht„.)

Schließlich sollte man noch bedenken, dass viele Fotografen, Grafiker etc. sich selbst nicht gut mit dem Urheberrecht auskennen, und unter Umständen Bilder bei kostenlosen Bilddatenbanken veröffentlichen, an denen sie selbst nicht alle Rechte haben. Wer zum Beispiel eine Collage aus fremden Fotos erstellt, der braucht dafür eine Einwilligung der Fotografen. Wer ein Foto eines anderen Werks (zB. Plakat, Grafik, Statue etc.) veröffentlicht, der braucht hierzu eigentlich die Einwilligung des Künstlers.

Nutzer von kostenlosen Bilddatenbanken sollten also jedes Bild, das sie von dort verwenden, auf rechtliche Probleme prüfen.

 

Urteil gegen Wikipedia – Die Entscheidungsgründe des LG Berlin

Die Entscheidungsgründe für das Urteil des Berliner Landgericht gegen Wikipedia liegen nun vor. Im Rechtsstreit  mit dem Reiss-Engelhorn-Museum war der Online-Enzyklopädie verboten worden einige Bilder zu verwenden. Meine Analyse der Entscheidungsgründe.

Für das desaströse Urteil des LG Berlin hat die Wikicommons-Foundation mittlerweile die Urteilsbegründung veröffentlicht. Warum das Urteil aus meiner Sicht ein vollkommen falsches Signal sendet und womöglich schwere Folgen für die Kultur im Internet haben wird, habe ich bereits hier erläutert. Doch widmen wir uns den Entscheidungsgründen doch einmal im Einzelnen.

Gemäldereproduktionen sind keine Werke

Wie nach der Pressemeldung der Wikimedia Foundation schon abzusehen war, ist das Internet immerhin von der absurden Maximalforderung des Reiss-Engelhorn-Museums und der Kanzlei Müller Müller Rössner verschont geblieben. Bloße Fotografische Reproduktionen von Gemälden sind keine urheberrechtlich geschützten Werke. Das erkannte auch das LG Berlin an:

Bei den 17 streitgegenständlichen Reproduktionsfotos handelt es sich nicht um Lichtbildwerke im Sinne des §2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG.

Was Abmahn-Anwalt Carl Christian Müller in der Überschrift zu seinem Blog-Beitrag schreibt, ist somit schlicht falsch! Die Gemäldereproduktionen sind nach dem Urteil des Landgerichts eben nicht urheberrechtlich geschützt sondern lediglich als Lichtbilder.

Lichtbildschutz?

Die eigentlich kontroverse Frage in dem Urteil war, ob das Landgericht die Gemäldereproduktionen als Lichtbilder nach §72 UrhG ansehen würde. Der Lichtbildschutz ist ein so genanntes Leistungsschutzrecht. Von ihm sind Fotografien auch dann geschützt, wenn die schöpferisch-kreative Leistung nicht ausreicht, um einen klassischen Urheberrechtsschutz zu begründen. Lichtbildschutz schützt die Arbeitsleistung und nicht die künstlerische Qualität eines Fotos.

Jedoch hat der BGH bereits 1989 in seinem Bibelreproduktionsurteil klar gemacht, dass Foto-Reproduktionen gemeinfreier Vorlagen mindestens nicht in jedem Fall Lichtbildschutz genießen:

aa) […] Der technische Reproduktionsvorgang allein begründet aber noch keinen Lichtbildschutz. Die Erweiterung des Lichtbildschutzes durch § 72 UrhG […]

Vielmehr müsse eine bestimmte geistige Leistung in der Fotografie-Arbeit erkennbar sein, damit das Bild in den Schutzbereich von §72 UrhG fällt.

[…]. Sind es aber in erster Linie Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Erweiterung des Lichtbildschutzes geführt haben, so kann jedenfalls auf ein Mindestmaß an – zwar nicht schöpferischer, aber doch – persönlicher geistiger Leistung nicht verzichtet werden.

Das Landgericht Berlin war auch tatsächlich bereit diesen Rechtsgrundsatz anzuerkennen, der durch den BGH 1989 im Bibelreproduktionsurteil und dann nochmals 2000 im Telefonkartenurteil formuliert wurde. Leider sah das Gericht einen erheblichen qualitativen Unterschied zwischen Grafiken oder Drucken und Gemälden:

Danach reichte dort [Anm. im Telefonkartenurteil] die technische Reproduktion einer bestehenden Grafik (eine solche war jedenfalls das Original der Vorlage, die letztlich für die Telefonkarte der Klägerin verwendet worden ist) nicht aus, das Mindestmaß an persönlicher geistiger Leistung zu für den Lichtbildschutz erfüllen. Eine Schlussfolgerung, dies auch auf die Reproduktion von Gemälden zu übertragen, ist in dieser Allgemeinheit jedoch nicht zulässig:
In dem BGH-Fall ging es um eine einfache, schwarz-weiße-Graphik, die wiederum nur als Grundmotiv einer relativ kleinen Telefonkarte zu übertragen war. Hier geht es dagegen um farbige, detailreiche Gemälde mit differenzierten Schattierungen, die für den Druck in einer Museumspublikation so detailgetreu wie möglich zu fotografieren waren. Gerade die damit verbundene aufwendige handwerklich-technische Leistung ist durch den Lichtbilderschutz zu schützen.

Zwei- oder Dreidimensional? egal

Das alleine wäre eine traurige aber noch verständliche Entscheidung. Bemerkenswert ist, dass das Gericht nicht wie (meinem Eindruck nach) die juristische Mehrheitsmeinung von einem Unterschied zwischen zweidimensionalen und dreidimensionalen Reproduktionen ausgeht:

Es kommt an dieser Stelle daher nicht auf den Streit an, ob die Gemälde als Vorlage der streitgegenständlichen Fotografien zweidimensonal sind und ob zweidimensionale Vorlagen anders als dreidimensionale zu behandeln sind. Die Frage, ob ein Gemälde zwei- oder dreidimensional ist, kann grundsätzlich nur im Einzelfall unter Betrachtung des Originals beantwortet werden […]

Wie Praxis-fremd eine solche Abwägung im Einzelfall ist, erkennt das Gericht wenig später lustigerweise selbst an:

[…] bei einem Abstellen auf Zweidimensionalität käme es aus den bereits genannten Gründen ferner auf die Dicke des Farbauftrags an, so dass die Schutzfähigkeit erst nach Abgleich mit dem Original sicher festzustellen wäre, was kaum praktikabel ist, […]

Ich würde das Gericht an dieser Stelle bitten, einmal eine repräsentative Umfrage durchzuführen und 8.000 Menschen zu fragen, ob ein Ölgemälde ein zweidimensionales Werk ist. Dann würden sich die Missverständnisse klären. Die Abgrenzung zwischen zwei- und dreidimensionalen Werken war ein noch realtiv Laien-verständliches Kriterium. Jeder kann unterscheiden, ob auf einem Foto eine Statue oder eine Buchseite abgebildet ist. Wie viel Arbeit in eine Reproduktion gesteckt wurde, sieht man dem Foto jedoch nicht an. Das Gericht erklärt alleine mit diesem Entscheidungsgrund Millionen von Fotos im Internet für nicht mehr nutzbar. Einfach, weil für einen nutzungswilligen User nicht mehr erkennbar ist, ob ein Foto unter Lichtbildschutz steht.

Teleologische Auslegung

Das für mich juristische Hauptargument der Wikimedia-Foundation hat das Gericht ebenfalls nicht anerkannt: Durch die Praxis des Reiss-Engelhorn-Museums wird §64 UrhG praktisch umgangen und gegen den Willen des Gesetzgebers gehandelt. §64 UrhG sieht vor, dass das Urheberrecht an Werken nur eine bestimmte Zeit, nämlich 70 Jahre gelten soll. Dies hat der Gesetzgeber verfügt, damit Werke der Kultur nicht über einen gewissen Zeitraum hinaus monopolisierbar sind. Die Rechte, die aus dem Urheberrecht erwachsen, sollen ab diesem Punkt jedem zur Verfügung stehen: Ein Werk zu vervielfältigen, zu verbreiten, auszustellen und öffentlich zugänglich zu machen.

Das Reiss-Engelhorn-Museum verhindert nun aber über ein Fotografie-Verbot in seinen Räumlichkeiten, dass diese Rechte konkret ausgeübt werden können. Und indem es eigene (quasi-)Vervielfältigungen des Bilds mit Lichtbildschutz erstellt und vermarktet, hat das Reiss-Engelhorn-Museum genau die Rechte wieder monopolisiert, die eigentlich der Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollten. Das Gericht sah das leider anders:

Für die Frage einer teleologischen Reduktion kommt es nach Ansicht der Kammer nicht darauf an, wie die Klägerin ihr Fotoverbot praktiziert, denn selbst bei strenger Durchsetzung wäre dies kein Kriterium für eine beschränkende Auslegung einer Norm. Mit der teleologischen Reduktion werden Sachverhalte, die nach dem Wortlaut der Norm an sich erfasst würden, von der Anwendung der Norm ausgeschlossen, weil sie der Zielsetzung des Gesetzes widersprechen. Nach der Ansicht der Beklagten wäre der abstrakte Sachverhalt dann konsequenterweise so zu fassen, dass des keinen Lichtbildschutz für Fotos gibt, die eine 1:1-Reproduktion eines zweidimensionalen und gemeinfreien Werkes sind, falls diese Werke im Bestand eines Museums sind, dessen Hausordnung den Besuchern das Fotografieren verbietet. […]

Diese Auslegung der Position der Wikimedia verkennt den Kern der Argumentation in so hohem Maße, dass ich mich frage, ob das Gericht das Argument überhaupt verstanden hat. Die abstrakte Norm, die der Wikimedia hier vorschwebt wäre viel mehr etwa so zu fassen:

Es gibt keinen Lichtbildschutz für Fotos, die eine 1:1 Reproduktion eines gemeinfreien Werkes sind, falls diese Werke im Bestand eines Museums sind, die erkennbar durch gezielte Maßnahmen verhindert, dass die Rechte, die der Allgemeinheit aus §64 UrhG an diesem gemeinfreien Werk erwachsen, auch tatsächlich ausgeübt werden können.

Scans als geschützte Lichtbilder?

Die gefährlichste Passage in dem Urteil findet sich jedoch gegen Ende:

Es muss schließlich aus heutiger Sicht nicht überzeugen, eine technische Reproduktion mittels Scanner, die einen vergleichbaren technischen Aufwand erfordern und zu besseren Widergabeergebnissen führen kann, nicht ensprechend einem Lichtbild zu schützen. […]

[…] Der Umstand, dass es offenbar über alle Reformbemühungen hinweg der Wille des Gesetzgebers geblieben ist, das Leistungsergebnis der einfachen Fotografie als Lichtbild zu schützen, lässt eher den Gedanken zu, §72 UrhG entsprechend auf Abbildungen anzuwenden, die auf vergleichbare Weise (wie mit dem von den Beklagten angeführten aufwendigen Scan) entstanden sind, was aber nicht hier zu entscheiden ist. […]

Nach dem Vorschlag des Landgerichts sollen zukünftig also Scans als Lichtbilder geschützt sein. Diese Radikalposition erweitert den Lichtbildschutz so weit, dass nun überhaupt keine Werk-Reproduktionen mehr eindeutig gemeinfrei sind. Damit ist die tatsächliche Nutzbarkeit gemeinfreier Werke in der Praxis aufgehoben. Niemand kann unterscheiden, wann ein Scan aufwendig war und wann nicht. Insofern kann niemand mehr irgendwelche Reproduktionen von gemeinfreien Werken nutzen, ohne vorher den Ersteller zu kontaktieren und die Rechte mit ihm abzuklären.

Für die Internetkultur, in der solche Kommunikation nicht vorgesehen, ja im Normalfall auch gar nicht möglich ist, ist das eine Katastrophe. Aber genau das war wohl die Intention des Gerichts.

Update 30.06.2016

Das Reiss-Engelhorn-Museum hat in seiner Pressemeldung einmal mehr seine totale rechtliche Ahnungslosigkeit bewiesen. Schon im Teaser zur Pressemeldung heißt es:

Stellt ein Autor der Wikipedia solche Fotografien unerlaubt in die Mediendatenbank Wikimedia Commons, die mit der Wikipedia verknüpft ist, haftet die Wikimedia Foundation Inc. für diese Urheberrechtsverletzung als Störer.

Das ist faktisch falsch. Gemäß §10 TMG haften Portal-Betreiber für rechtswidrige Inhalte erst ab Kenntnisnahme. Das ist ein unbestrittener Rechtssatz, der aus dem Gesetz hervor geht und schon von zahllosen Gerichten bestätigt worden ist. So auch in dem Urteil des LG Berlin, das in dieser Pressemeldung eigentlich zusammengefasst werden soll ( ! ) :

Die Beklagte zu 1. haftet jedenfalls als Störerin. Sie hat die Fotos unstreitig nicht selbst eingestellt. Sie ist aber Betreiberin beider Webseiten und hat nach Kenntnis von den Verstößen nichts veranlasst, die Rechtsverletzung zu beenden, sondern diese bewusst beibehalten.

Wikimedia haftet nach dem Urteil des LG Berlin also nur als Störerin, weil sie gegen die streitgegenständlichen Bilder nach Kenntnisnahme nicht von der Plattform entfernt hat.

 

 

Reiss Engelhorn Museum verklagt Wikipedia

Das Reiss-Engelhorn-Museum hat sich vor dem Landgericht Berlin gegen die Wikipedia durchgesetzt. Streitpunkt waren mehrere gemeinfreie Werke aus dem Museum, die die Wikipedia digital zur Verfügung gestellt hatte. Mit dem Urteil hebt das Landgericht §64 des Urheberrechtsgesetzes für Bilder de facto auf.

Das Reiss-Engelhorn Museum versetzt der deutschen Kultur einen schweren Schlag. Wie Wikicommons Deutschland in einer Erklärung mitteilte, hat sich das Reiss-Engelhorn Museum im umstrittenen Wagner-Prozess gegen Wikicommons durchgesetzt. Das Berliner Landgericht entschied, dass Wikipedia verschiedene gemeinfreie Bilder aus dem Reiss-Engelhorn Museum nicht veröffentlichen dürfe. Das Urteil wird gravierende Folgen für deutsche Kunst-, Geschichts- und Kulturblogger sowie für Künstler und Journalisten haben.

Reiss Engelhorn Museum und der Krieg gegen freie Kultur

Die traurige Geschichte begann im März 2015. Damals begann das Reiss-Engelhorn Museum Massenabmahnungen gegen Blogs und kleine Webseiten zu verschicken. Grund war ein Bild von Richard Wagner, dass auf den Webauftritten verwendet worden war. Das Bild hatten die Webmaster von Wikipedias-Bilddatenbank Wikicommons herunter geladen, wo es als „gemeinfrei“ also „frei von Urheberrechten“ deklariert war. (und bis heute ist) Obwohl keiner der Webmaster von irgendwelchen rechtlichen Problemen gewusst haben kann, forderte die Kanzlei Müller Müller Rössner im Auftrag des Mannheimer Museums utopische Summen ein und trieben damit zum Beispiel das Kinder-Musik-Portal musical-co in die Pleite.

Auch gegen die Wikipedia selbst, sowie gegen den User, der das Wagner-Bild hochgeladen hatte, erhob das Reiss-Engelhorn Museum Klage.

Rechtspositionen und Rechtslage

Der Kern des Rechtsstreits: Das Wagner Gemälde wurde vom deutschen Maler Cäsar Willich angefertigt. Der starb im Jahre 1886. Der Urheberrechtsschutz an dem Gemälde ist also bereits im Jahre 1956 abgelaufen. Denn nach §64 UrhG erlischt das Urheberrecht an jedem Werk 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Wenn jedoch keine Rechte am Gemälde bestehen. Was für Rechte macht das Reiss-Engelhorn-Museum dann geltend?

Die konkreten Bilder, die nun in der Wikipedia vorliegen, hatte ein Museums-Fotograf von den Gemälden abfotografiert. An diesen Fotografien beansprucht das Reiss-Engelhorn Museum nun Rechte. Es seien Lichtbilder nach §72 UrhG. Die Kategorie des Lichtbilds hatte der Gesetzgeber im Jahre 1965 als eine Art abgespecktes Urheberrecht eingeführt. Der Lichtbildschutz umfasst die gleichen Privilegien wie der normale Urheberrechtsschutz. Jedoch erlischt er schon 50 Jahre nach der ersten Publikation des Lichtbilds.

Hat das Foto des Wanger-Gemäldes Lichtbildschutz?

Der BGH hatte in seinem grundlegenden Bibelreproduktionsurteil 1989 folgende Entscheidung getroffen:

aa) […] Der technische Reproduktionsvorgang allein begründet aber noch keinen Lichtbildschutz. Die Erweiterung des Lichtbildschutzes durch § 72 UrhG gegenüber dem – notwendig schöpferischen – Urheberrechtsschutz für Lichtbildwerke nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG beruht vornehmlich auf der Erwägung, daß eine Abgrenzung zwischen Lichtbildern mit Werkcharakter und solchen ohne eigenschöpferischen Einschlag unüberwindlichen Schwierigkeiten begegnet […]. Sind es aber in erster Linie Abgrenzungsschwierigkeiten, die zu einer Erweiterung des Lichtbildschutzes geführt haben, so kann jedenfalls auf ein Mindestmaß an – zwar nicht schöpferischer, aber doch – persönlicher geistiger Leistung nicht verzichtet werden.

Worin eine persönliche geistige Leistung bestehen soll, wenn ein existierendes Gemälde lediglich abfotografiert wird, ist mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar. Zumal der Fall, den der BGH hier entschied dem aktuellen sehr ähnlich war. (Es ging um Fotoreproduktionen von Kupferstichen). Zudem argumentierte die Wikipedia zutreffend, dass das Reiss-Engelhorn Museum hier eine Aufhebung der Schutzfristen in §64 UrhG durch die Hintertüre versucht:

Durch sein eigenes Hausrecht verbietet das Reiss-Engelhorn Museum es nämlich innerhalb seiner Räumlichkeiten zu fotografieren. Dadurch kann das Museum §64 UrhG in der Praxis bedeutungslos machen. Indem es den Zugang zu den Originalen verhindert, und stets nur Kopien öffentlich macht, die unter Lichtbildschutz stehen, ist das Werk de facto zeitlich unbegrenzt geschützt.

Diesen Zustand hat das LGBerlin durch sein Urteil nun zementiert. Die einzig gute Nachricht: Wikimedia hat bereits angekündigt in die nächste Instanz zu gehen.

Reiss-Engelhorn Museum: Kein Verständnis für die Gegenwart

Die verschiedenen Stellungnahmen des Reiss-Engelhorn Museums und seiner Rechtsvertretungen während der ganzen Debatte haben übrigens wegen ihrer schieren Ahnungslosigkeit schon fast tragik-komischen Charakter. In der ersten Pressemeldung zu den Massenabmahnungen behauptete das REM zum Beispiel:

Die Urheberrechte  für die Abbildung liegen bei den Reiss-Engelhorn-Museen.

Das ist unbezweifelbar faktisch falsch. Selbst wenn das Landgericht Berlin der absurden Maximalforderung des Museums statt gegeben hätte, und erklärt hätte die Gemäldefotografien seien Lichtbildwerke: Das Urheberrecht läge dennoch nicht beim Reiss-Engelhorn Museum sondern beim Fotografen. Urheberrecht kann nur eine natürliche Person haben.

In der gleichen Pressemeldung beweist das Museum seine blanke Ahnungslosigkeit über die aktuelle Medienlandschaft und deren finanzielle Möglichkeiten:

Für eine zeitlich unbegrenzte Nutzung einer Fotografie im Internet fallen 250,00 EUR an.

Kein Kunst- oder Kulturblogger, kein Kulturjournalist, kein Künstler, kein Autor, kein Internetportal, keine Tageszeitung und auch kein kleinerer Kulturverlag könnte sich eine solche Summe für eine einzelne Bildnutzung mehr leisten. Derartig abgöttische Forderungen konnte ein Museum vielleicht in den 80ern und 90ern für Verwendungen in Sammelbänden verlangen. Aber doch nicht mehr im Jahre 2016, in dem Kultur maßgeblich im Internet erlebt wird.

[Edit: Die Pressemeldung des RME wurde gestern (05. Juli 2016) von der Website des Museums entfernt. Aus ihr gingen sowohl die faktisch falsche Beschreibung der Rechtslage als auch die völlig verfehlte Preispolitik des RME hervor. Offenbar möchte das Reiss-Engelhorn-Museum diese Informationen nun nicht mehr in der Öffentlichkeit wissen]

Die Anwaltskanzlei Müller Müller Rössner begründete indes, weshalb ein simples Gemälde-Foto ein Kunstwerk darstellen soll: Der Fotograf müsse immerhin die Entscheidung treffen, ob das Bild mit oder ohne Rahmen abgelichtet wird. Wie absurd das auf jeden wirken muss, der nicht in der rechtswissenschaftlichen Bubble steckt, scheint den Anwälten dabei nicht bewusst zu sein.

Der Museumsdirektor Alfried Wieczorek wanderte während dem ganzen Verfahren durch die Zeitungen und Radiosendungen und erläuterte seine Sicht der Dinge: Wer Bilder aus seinem Museum nutzen wolle, solle gefälligst vorher anfragen. Es könne ja nicht sein, dass die Wikipedia und ihre User darüber entscheiden, ob Kunstwerke veröffentlicht werden.

Hier wird nicht nur ein völlig verfehltes Amtsverständnis sondern auch ein fehlender Blick für die Rechtslage und die Kultur an sich offenbart: Die Kunstwerke, die im Reiss-Engelhorn Museum ausgestellt sind, gehören nicht dem Museum und auch nicht Alfried Wieczorek. Sie gehören der Allgemeinheit und das Museum soll sei lediglich aufbewahren und der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Und gemeinfreie Kunstwerke gehören ebenfalls der Öffentlichkeit. Jeder darf sie veröffentlichen. Und niemand, weder die Wikipedia noch Alfried Wieczorek darf eine Veröffentlichung verhindern.

Wissen und Kultur in Zeiten des digitalen Raums fließen wie Wasser. Und niemand kann sie aufhalten.

Ein folgenschweres Urteil

Wie gesagt wird Wikicommons Deutschland in die nächste Instanz gehen. Im Moment scheint die Mehrheitsmeinung unter Juristen jedoch von einem Lichtbildschutz für Reproduktionsfotografien auszugehen. Auch wenn das Amtsgericht Nürnberg im gleichen Sachverhalt einem Wikipedia-Nutzer Recht gab.

Sollte das Urteil des LGBerlin jedoch Bestand haben, wird das schwere Folgen für Blogger, Kulturjournalisten und Künstler haben. Ihnen wird durch die Entscheidung faktisch ihre Arbeit unmöglich gemacht. Denn die Kosten für Gemäldefotografien und alleine der Verwaltungsauwand die Rechte einzuholen, sind für sie nicht tragbar.

All das wird natürlich nicht dazu führen, dass im Internet weniger Gemäldefotografien kursieren. Die User werden das eben nur nicht mehr auf dem Boden des Gesetzes tun können. Es wird genau das passieren, was in den letzten 20 Jahren immer passiert ist, wenn urheberrechtliche Regelungen der gängigen Alltagspraxis diametral entgegen stehen: Die Rechtslage wird einfach ignoriert werden.

 

KG Berlin: Whatsapp braucht deutsche AGB

Das Kammergericht Berlin hat entschieden, dass Whatsapp seine AGB in deutscher Sprache zur Verfügung stellen muss. Außerdem muss die Firma ihr Impressum berichtigen und einen schnellen und unmittelbaren Kommunikationsweg bereit stellen. Die Angabe von Twitter-Account und Facebook-Seite reichen nicht. Das Urteil kann Folgen für viele andere Internet-Diensteanbieter haben.

Whatsapp photo

Whatsapp muss seine AGB auf deutsch bereit halten. Das urteilte das Kammergericht Berlin in einem Urteil, dass erst in der letzten Woche veröffentlicht wurde. Bisher hatte das soziale Netzwerk seine Geschäftsbedingungen nur auf englisch zur Verfügung gestellt. Ein anders lautendes Urteil des Berliner Landgerichts hob das Kammergericht damit auf. Die Richter beriefen sich in ihrer Argumentation vor allem auf:

§ 307 BGB

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

Ein so komplexer und umfassender Text wie die Regelungen eines sozialen Netzwerks sei nicht klar und verständlich, wenn er in einer fremden Sprache formuliert sei. Zwar sei Englisch als Geschäftssprache mittlerweile gängig. Einen komplexen juristischen Text in all seinen Nuancen und Feinheiten in einer Fremdsprache verstehen zu können, sei jedoch für den beteiligten Verkehr nicht zumutbar. Verbraucher werden hierdurch unzumutbar benachteiligt.

Fehlende Kontaktmöglichkeit im Impressum

Des Weiteren monierte das Kammergericht, dass im Impressum von Whatsapp keine direkte Kommunikationsmöglichkeit mit dem Unternehmen angegeben war. Eine solche ist im Telemediengesetz zwingend vorgeschrieben:

§5 TMG

(1) Diensteanbieter haben für geschäftsmäßige, in der Regel gegen Entgelt angebotene Telemedien folgende Informationen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar zu halten:

[…]

2. Angaben, die eine schnelle elektronische Kontaktaufnahme und unmittelbare Kommunikation mit ihnen ermöglichen, einschließlich der Adresse der elektronischen Post,

Nach Rechtsprechung des EuGH muss eine Diensteanbieter auf diese „unmittelbare Kommunikation“ innerhalb von 60 Minuten reagieren können. Gewöhnlicherweise wird zur Erfüllung dieses Kriteriums im Impressum eine Telefonnummer/Hotline des Unternehmens angegeben. Whatsapp hatte lediglich auf die Firmen eigene Facebook-Seite und den Twitter Account verwiesen. Pikanterweise waren die Optionen der Facebook-Seite dabei so eingestellt, dass ihr keine privaten Nachrichten übermittelt werden konnten.

Ob eine Facebook-Seite generell den Anforderungen von §5 TMG genügen kann, hat das Kammergericht explizit offen gelassen:

Hierbei kann offenbleiben, ob dem schon entgegensteht, dass hier dritte Unternehmen eingeschaltet sind, was möglicherweise besagtes Erfordernis der Unmittelbarkeit außer Acht lässt.

Eine höchstrichterliche Entscheidung zu diesem Thema steht also noch aus. Die Problematik ist klar: Nicht jeder User besitzt einen Facebook-Account und somit können auch nicht alle User die Firma bei Facebook erreichen.

Für den vorliegenden Fall spielte das alles keine Rolle: Der Facebook-Seite konnten User keine privaten Nachrichten schreiben. Dem Twitter-Account ebenfalls nicht, weil private Nachrichten bei Twitter nur an Follower geschickt werden können. Damit gab es überhaupt keine Möglichkeit zur „elektronischen Kontaktaufnahme“.

Die Folgen

Das Urteil kann Folgen für verschiedene andere soziale Netzwerke haben, die ihre AGB ebenfalls nicht auf deutsch zur Verfügung stellen. Die grundlegende Frage ist dabei immer, ob deutsche Gerichte überhaupt zuständig sind. AGB sind eine Frage des Wettbewerbsrechts. Hier sind deutsche Gerichte nur zuständig, wenn sich das geschäftliche Angebot des Anbieters an einen deutschen Markt richtet.

Konkret könnten zum Beispiel die Musik-Plattform Soundcloud in Schwierigkeiten geraten. Sie hält ihre AGB ebenfalls nur auf Englisch vor. Dieser Umstand hat Sprengkraft, weil die Soundcloud AGB den Download von Songs der Plattform verbieten. Abgesehen davon, dass diese Regelung ohnehin umstritten ist: Weil die „Terms of use“ nicht in deutscher Sprache vorgehalten werden, könnten die entsprechenden Passagen nun in Deutschland unwirksam sein. Damit dürften sich User mit den vielen gängigen Download-Diensten Musik von der Plattform herunter laden.

Strafandrohung gegen CEO

Whatsapp wurde also verpflichtet, seine AGB auf deutsch anzubieten und sein Impressum zu korrigieren. Brisantes Detail: Bei Nichterfüllung wurden dem CEO Jan Koum sogar 6 Monate Ordnungshaft angedroht. Mindestens im Vergleich der Gerichtsurteile, die ich bisher kenne, scheint mir das nicht unbedingt üblich.

Sowohl das Urteil als auch die Strafandrohung lassen sich für mich in eine Tendenz der europäischen Politik und Rechtsprechung einordnen: Aufhebung des Safe Harbour Urteils. Die Auseinandersetzungen über Hatespeech bei Facebook. Die jüngsten Ermittlungen gegen Google in Frankreich. Lange hatten die großen Internet-Konzerne weitgehend losgelöst von nationalem Recht agiert. Oftmals hatten sie argumentiert nur nach amerikanischem Recht belangbar zu sein. Nun scheinen sich Regierung, Parlamente und Gerichte dazu entschlossen zu haben Google, Facebook und Konsorten an dem nationalen Recht der Länder zu messen, von denen aus ihre Dienste verwendet werden. Ob das Erfolg hat, bleibt abzuwarten.

 

Und ewig grüßt die Störerhaftung

In der letzten Woche hatte ich in zwei verhalten optimistischen Artikeln, die Fortschritte im Bereich der Störerhaftung beleuchtet. Zu früh, wie sich heraus stellte…

In der letzten Woche gelangte viel Dynamik in die Debatte um die Störerhaftung. Zuerst kündigte die Regierungskoalition ein neues Gesetzgebungsverfahren zur Abschaffung der Störerhaftung für WLAN an. Dann berichteten verschiedene Medien (auch Anwälte und Rechtsblogs) von einem Urteil des Bundesgerichtshofs, dass die Störerhaftung entscheidend einschränke.

Das BGH Urteil

Vor allem Anwalt und Rechts-Youtuber Christian Solmecke hatte fast euphorisch auf das Urteil reagiert:

Ähnlich hatte ich mich auch in meiner Bewertung des Urteils geäußert. Immerhin schien die Formulierung in der Pressemeldung des BGH recht klar:

Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

Die Störerhaftung für WLAN hatte bis jetzt zur Folge, dass der Anschlussinhaber für Rechtsverstöße haftbar gemacht werden konnte, die andere über seinen Internet-Anschluss begangen haben. War etwa eine Urheberrechtsverletzung über einen Anschluss erfolgt, musste der Inhaber bisher musste der Anschlussinhaber bisher nachweisen, alle Personen, die Zugang zu seinem Internet hatten, ordentlich belehrt zu haben. Wenn diese Verpflichtung nun aufgehoben wäre, würde der Störerhaftung ein schwerer Schlag versetzt. Denn damit würde der Anschlussinhaber praktisch aus der Haftung heraus kommen.

Bevor der vollständige Text eines Urteils inklusive der Begründung nicht vorliegt, sollte man keine allzu weit gehende Schlüsse ziehen. So auch in diesem Fall. Wie Rechtsblogger Thomas Stadler in seinem Blog-Beitrag heraus stellte, hatte die Anschlussinhaberin im konkreten Fall die Urheberrechts-Verletzerin benannt. Ob die grundsätzlichen Ausführungen des BGH auch gültig sind, wenn der Urheberrechtsverletzer nicht bekannt ist (wie in den meisten Fällen) bleibt bis zur Veröffentlichung des gesamten Urteilstextes offen.

Wieder neue Entscheidungen des BGH zum Filesharing

Im übrigen sind die restlichen 5 Filesharing-Fälle, die der BGH zeitgleich entschieden hat, eher ein weiter Rückschritt. Denn die Schadenersatzforderungen und Anwaltskosten wurden extrem nach oben getrieben. Weit über den Bereich hinaus, der eigentlich über den gesetzlich festgelegten Höchststreitwert gegeben ist.

Teilnahme an Internet-Tauschbörsen – und der Streitwert

Die Gesetzesinitiative

Was die Gesetzesinitiative zur Abschaffung der Störerhaftung angeht, so war ich von vornherein skeptisch. Dies bestätigte mir nun die (sehr empfehlenswerte) Episode der #heiseshow zur Störerhaftung. Dort stellte Anwalt Joerg Heidrich (ca. ab min 13.00) fest, dass die Regierungskoalition lediglich vorhabe den Schutz für acess provider nach §10 TMG explizit im Gesetz auf WLAN auszuweiten. Eine eindeutige Verbesserung zum vorherigen Zustand: Denn so wären die Anschlussinhaber immerhin vor strafrechtlicher Haftung und Schadenersatzansprüchen sicher.

Leider geht dieses Gesetzgebungsverfahren genau an der Kern-Argumentation vorbei, mit der der BGH die Störerhaftung als Rechtsprechungsprinzip begründet: §10 TMG gelte nicht für Unterlassungsansprüche. Und eben solche werden durch Abmahungen geltend gemacht.

Die Ereignisse rund um die Störerhaftung in der letzten Woche zeigen leider mal wieder, dass man sich in Deutschland nicht zu früh auf digitalen Fortschritt freuen sollte.

 

BGH schränkt Störerhaftung ein

Störerhaftung: Nach dem politischen Paukenschlag gestern sorgt heute der BGH für Schlagzeilen. In einem Urteil schränkte er die Störerhaftung entscheidend ein.

Die Störerhaftung kommt kaum aus den Schlagzeilen. Erst gestern hatte die Regierungskoalition angekündigt, die Störerhaftung endgültig abschaffen zu wollen. (Mein Artikel inklusive juristischer Hingergründe zum Thema findet sich hier) Nun hat der BGH in einem heutigen Urteil die von ihm selbst geschaffene Störerhaftung entscheidend eingeschränkt.

Störerhaftung und Belehrungspflicht

Wenn in Deutschland über einen Internetanschluss eine rechtswidrige Handlung wie etwa ein urheberrechtswidriges Filesharing begangen wird, dann wird zunächst vermutet, dass der Inhaber dieses Internetanschlusses auch der Täter ist. Es obliegt dann ihm nachzuweisen, dass auch andere Personen die Tat über sein WLAN hätten begehen können.

Kritischer Punkt: (Und hierin unterscheidet sich die deutsche Rechtsprechung von der Rechtsprechung der restlichen westlichen Welt) Wenn andere Personen Zugriff auf den Internet Anschluss hatten, so haftet der Anschlussinhaber als Störer, weil er die Infrastruktur für den Rechtsverstoß zur Verfügung gestellt hat. Dies traf nach der Rechtsprechung des BGH nur dann nicht zu, wenn er alle Nutzer seines Internetanschlusses (Etwa Familienmitglieder, Nachbarn oder Mitbewohner) darüber belehrt hatte, dass sie keine urheberrechtswidriges Filesharing betreiben dürfen.

Das heutige Urteil

Von diesem Grundsatz ist der BGH nunmehr abgekommen. Er hält es nach seinem Urteil von heute fest:

Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

Die Folgen

Das Urteil hat in der Tat das Potential der im sterben liegenden Störerhaftung den Todesstoß zu versetzen. Bereits in den letzten Jahren häuften sich Fälle in denen Abgemahnte sich mit folgender Argumentationsstrategie erfolgreich vor Gericht gegen Schadenersatzforderungen wehrten:

„Ich bestreite nicht, dass der Urheberrechtsverstoß über meinen Internetanschluss geschehen ist. Jedoch bestreite ich den Verstoß begangen zu haben bzw. mache diesbezüglich von meinem Zeugnisverweigerungsrecht gebraucht. Auf den Internet-Anschluss hatten neben mir auch meine Familie/ meine Mitbewohner/meine Gäste Zugriff. Wer von uns den Verstoß begangen hat, ist also nicht bekannt. Die Schadenersatzforderungen können deswegen nicht geltend gemacht werden, weil nicht klar ist bei wem.“

Der letzte Ausweg der Abmahn-Anwälte war in diesem Fall zu argumentieren: „Die Mitnutzer des Internetanschlusses wurden nicht korrekt darüber belehrt, dass sie kein illegales Filesharing betreiben dürfen bzw. kann der Anschlussinhaber nicht nachweisen die Mitnutzer ausreichend belehrt zu haben.“

(Ausführlich zur Störerhaftung, sei wie gestern auf den Podcast Rechtsbelehrung von Markus Richter und Thomas Schwenke verwiesen. Bei um 1.00.00 findet sich auch eine herrliche Diskussion, über Belehrungspflicht und Nachweisbarkeit)

Fazit

Mit dem neuen Urteil des BGH ist Abmahn-Anwälten der Musik- und Filmindustrie ihr letzter Argumentationsweg verbaut. Sie kann nun nur noch Schadenersatz gegen Filesharer geltend machen, wenn sich genau nachweisen lässt, wer den Verstoß begangen hat. In Zeiten kollaborativer Internetnutzung und freier WLANs wird das zukünftig nur noch selten vorkommen. Noch bevor etwaige Gesetzesänderungen greifen, könnte dieses Urteil der Störerhaftung also den Gar ausmachen.

 

VG Berlin führt Vorzensur in Deutschland ein

In einer aberwitzigen Entscheidung hat das Verwaltungsgericht Berlin eine Demonstration der Piratenpartei verboten. Brisantes Detail: Die Piraten sollten den zuständigen Behörden vorab ein Redemanuskript zur Prüfung überlassen. Das Grundgesetz verbietet explizit jede Art von Vorzensur.

„Verfassungsbruch!“ „Zensur!“ „Verstoß gegen das Grundgesetz!“ In unserem gegenwärtigen politischen Diskurs fallen diese Anschuldigungen sehr schnell. Bei jeder unbequemen Entscheidung eines Amtsträgers werden sie gebetsmühlenartig herunter gerattert. So oft wurden sie wütend mit Unkenntnis und Ignoranz heraus geschrien, dass wir sie kaum mehr ernst nehmen.

Doch in diesem Falle sollten wir das. Denn, dass die Entscheidung des VG Berlin vom 6. Mai 2016 war ein Verfassungsbruch war, ist schwer von der Hand zu weisen.

Die Vorgeschichte: Am 22. April 2016 versuchte der Vorsitzende der Berliner Piratenpartei Bruno Kramm im Rahmen einer Demonstration eine Analyse von Jan Böhmermanns Gedicht „Schmähkritik“ vorzutragen. Als er damit begann Textstellen aus dem Gedicht vorzutragen, kam plötzlich die Polizei auf die Bühne und führte den Mann ab. Wie ich schon damals in meinem Youtube Video klar gemacht habe, halte ich das Vorgehen der Polizei für eindeutig rechtswidrig:

Kramm hat das Gedicht nur zum Zwecke der Analyse und Diskussion zitiert. Von den strittigen Passagen hat er sich explizit distanziert. Damit hat er sich keine der Äußerungen zu eigen gemacht. Wo kommen wir bitte hin, wenn man beleidigende Äußerungen nicht mehr zitieren darf, um sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen?

Die Auflösung der Demonstration halte übrigens nicht nur ich für rechtswidrig, sondern zB. auch Rechtsblogger Thomas Stadler, der Böhmermanns Gedicht insgesamt eigentlich sehr kritisch sieht.

Das kontroverse Urteil

Unglaublicher weise gab das Berliner Verwaltungsgericht nun der Polizei Recht. In einer Entscheidung vom 6. Mai verbot es eine weitere Demonstration der Piratenpartei. Die Rede bei der letzten Demo sei rechtswidrig gewesen und es bestehe Wiederholungsgefahr.

An diesem Urteil kann und muss man nun viel kritisieren. Zunächst hat das Gericht hier abermals den Kontext der Äußerungen nicht berücksichtigt. (Wie auch viele Kommentatoren zu Böhmermanns ursprünglicher Sendung. Meine Analyse zu Böhmermanns Schmähkritik) Böhmermanns Äußerungen dürfen hier nicht isoliert betrachtet werden, sondern waren Teil von Kramms Gesamtvortrag. Wenn Kramms Vortrag aber keine Beleidigung war, dann gab es auch keine Straftat. Folglich gibt es auch keine Wiederholungsgefahr.

Nächster Kritikpunkt: Wie der Rechtsbeistand der Piratenpartei Markus Kompa und Rechtsblogger Thomas Stadler (denen das Urteil bereits im Volltext vorliegt) übereinstimmend berichten, sah das Gericht in Böhmermanns gesamtem Gedicht keine einzige Passage, die nicht unangemessen beleidigend sei. Ob das aber auch für Passagen wie „Kurden treten, Christen hausen“ gilt, müsste diskutiert werden. An dieser Stelle wird ohne jeden persönlichen Bezug auf Erdogan seine Politik in legitimer Weise kritisiert.

Das Gericht bejahte wohl letztendlich, dass eine legitime Auseinandersetzung mit dem Gedicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sein könnte. Hier aber kommt der gravierende Argumentationsschritt, mit dem sich das VG Berlin vom Boden des Grundgesetzes verabschiedet.

VG Berlin führt Vorzensur ein

Die Piratenpartei, so das VG Berlin, hätte den zuständigen Behörden schon bei der Anmeldung der Demonstration ein Redemanuskript vorlegen müssen. Nur so hätten sie prüfen können, ob die Auseinandersetzung mit Böhmermanns Gedicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Das ist ein klarer und eindeutiger Verstoß gegen §5 GG.

§5 GG

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Was ist Zensur?

Der Vorwurf der „Zensur“ wird im politischen Diskurs sehr gerne und schnell vorgeschoben. In der Regel von Akteuren ohne juristische Vorbildung. Denn der Staat darf sehr wohl gegen bestimmte Äußerungen vorgehen: Etwa zum Zwecke des Jugendschutzes, dem Schutz der persönlichen Ehre seiner Bürger oder um Urheberrechtsverletzungen zu ahnden.

Was in §5 GG explizit gemeint ist, ist die so genannte „Vorzensur„. Der Staat darf Äußerungen also erst ahnden, wenn sie getätigt worden sind. Er darf nicht vorab die Meinungsäußerung verhindern. Und genau das ist hier geschehen.

Fazit

Man kann über Äußerungsrecht und Demonstrationsrecht diskutieren. Über Beleidigung und Schmähkritik. Über „zu eigen machen“ oder „nicht zu eigen machen“. Über „Kunstfreiheit“ und „Geschmack“. Über „Meinungsfreiheit“ und  über „persönliche Ehre“. All das sind komplexe und vielschichtige Begriffe mit vielen Nuancen. Sowohl juristisch als auch persönlich kann man über all diese Dinge unterschiedlicher Meinung sein.

Doch über das, was das VG Berlin hier getan hat, kann man nur sehr schwer verschiedener Meinung sein. Was hier geschehen ist, ist Zensur. Und zwar Vorzensur. So wie sie explizit in unserer Verfassung verboten ist. Hier wurde eine Meinungsäußerung durch Auflagen schlicht verhindert. Ein schwerer Schlag gegen unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie.

 

Piratenpartei-Chef wegen Böhmermann Zitat festgenommen

Es grenzt an Zensur. Weil er bei einer Demonstration aus dem umstrittenen Schmägedicht von Jan Böhmermann zitiert hat, wurde Bruno Kramm der Vorsitzende der Berliner Piratenpartei von der Polizei in Gewahrsam genommen. Die Aktion der Polizei war rechtswidrig.

Verhaftung ab 0.22 im Video.


Es ist schwer zu entscheiden, was mich an dieser Aktion mehr aufregt:

Hier haben staatliche Organe, die eigentlich die Verfassung und Bürgerrechte verteidigen sollen, eine legale und angemeldete Veranstaltung in einer Demonstration verhindert. Ein klarer Einschnitt in §5 GG.

Die rechtliche Argumentation der Polizei ist offensichtlich völlig falsch. Eine Beleidigung und überhaupt ein Äußerungsdelikt durch ein Zitat kann nur vorliegen, wenn der Sprecher sich die zitierte Äußerung zu eigen macht. Kramms Analyse der Böhmermann-Zitat-Stellen ist ein Musterbeispiel für eine Behandlung, die den nötigen Abstand zum analysierten Werk schafft. An mehreren Stellen distanziert sich Kramm ja sogar explizit von dem Gedicht.

Was mich aber an der Geschichte fast am meisten aufregt, ist wie flappsig und selbstverständlich der Polizist hier seine vollkommen falsche Rechtsauffassung darlegt. Die Beamten der Berliner Polizei brauchen offenbar Nachhilfe in Äußerungsrecht… und in Deeskalation.